Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
Vom Netzwerk:
faltiger Haut und klaren Augen – ein Hund bellte, ohne sich zu nähern. Und vom Hügel gegenüber kam, wenn der Wind blies, ein schneller Klang von Bewegungen, das ruhige Krähen eines Hahns, leichte Fetzen von Gelächter, die Rufe der Kinder, die sich über den Sonntag ausbreiteten – alles von Anfang an fern und verschwunden, leicht Vergessenes, das sich nicht näher benennen ließ und plötzlich wiederkehrte, um sich dann erneut zu verlieren. Wenn Stille eintrat, war das, als atmete jemand und lächelte dazu. Von weitem sah sie ein altes Mütterchen, das rauchte, eine Frau, die Orangen schleppte, einen Mann, der ein Haus baute; ein Feuer loderte und glänzte. Virgínia drehte sich wieder nach vorn und ging weiter den Berg hinauf; um ihn besser zu spüren, sagte sie sich zerstreut und mit schwereloser Hartnäckigkeit: Er ist alt wie die Erde, er ist alt wie die Erde, und versuchte dabei, Angst zu empfinden. Zwischendurch dachte sie an den Brief, den sie nach Hause geschrieben hatte – sie wurden immer kürzer. Gesundheitlich geht es mir gut, nur war mir in letzter Zeit gelegentlich übel. Ich esse viele Süßigkeiten, bestimmt ist das der Grund, ich bin ja so ein Leckermaul geworden in der Stadt! … ich nehme weiter zu, Gott sei Dank, aber vielleicht etwas zu sehr; Ohnmachten gab es, soweit ich mich entsinne, keine, in Brejo Alto würde niemand in mir das dünne Mädchen erkennen, das ich einmal war … die Miete habe ich schon bezahlt, das ist alles sehr nützlich, ja, ja, ja. Sie fand es mit jedem Mal schwieriger, Bericht zu erstatten. Als Daniel noch mit ihr zusammenwohnte, hatte sie sich verpflichtet gefühlt zu sagen, dass es ihnen gutging. Aber jetzt … Es wäre schön gewesen, mit Daniel spazieren zu gehen an diesem Nachmittag. Nicht dass er in der Lage gewesen wäre, in ihr irgendeine klare Empfindung hervorzurufen; trotz seiner Integrität, die unverletzlich war, ließ er die Dinge auch in ihrem eigenen Wesen verweilen. Es wäre einfach nur schön gewesen, einige Schritte mit Daniel zu gehen und ihn auf das hinzuweisen, was sie sah, mit dem vertrauten Brummen, das zwischen ihnen je nach Tonart für dies oder jenes stand. In der Stadt war der Fluss glatt, die Kokospalmen standen aufgereiht, selbst die Hügel wirkten sauber und gestutzt, alles erstreckte sich an der Oberfläche, wirklich geworden. Während in Brejo Alto das Dasein geheimer war – und das hätte sie sagen können, ohne zu sprechen.
    Der Staudamm ächzte ununterbrochen, vibrierte in der Luft, bebte in ihrem Körper und machte sie dabei irgendwie zitterig und heiß. Sie setzte sich auf einen der Steine, auf dem die Sonne noch zu spüren war. Für einen Augenblick, in einem leichten, stillen Strudel, hatte sie ihr ganzes Leben damit verbracht, sich auf Steine zu setzen; eine andere Wirklichkeit war, dass sie ihr ganzes Leben darauf verwendet hatte, vor dem Einschlafen ins Dunkel zu blicken und sich im Bett zu wälzen, trostsuchend, während etwas Feines und Waches lauerte: morgen. Ja, was sie alles sah – sie seufzte langsam und blickte sich traurig um. Sie hatte gedacht, in der Stadt Andersartiges zu finden … Stattdessen setzte sie sich immer noch auf Steine, bemerkte bei einem Menschen einen Blick, traf einen Blinden, hörte nur bestimmte Worte … Sie sah das, was sie zum ersten Mal gesehen hatte, es war, als hätte es das Fassungsvermögen ihrer Augen erschöpft. Ein langes, leeres Wohlbefinden erfasste sie, sie verschränkte die Finger fein und geziert, machte sich ans Schauen. Aber der Himmel flatterte so zerfasert, dahinstreifend, so ohne Oberfläche … Was sie spürte, war ohne Tiefe … aber was sie spürte … vor allem in Ohnmacht fallend ohne Kraft … ja, die Besinnung verlierend am Himmel … wie sie … Schnelle, weite Kreise breiteten sich von ihrem Herzen aus – der Klang einer Glocke, nicht gehört, sondern schwer im Körper gespürt, wellenförmig – die weißen Kreise verschnürten ihr die Kehle zu einer großen, harten Luftblase – nicht einmal ein Lächeln war da, ihr Herz verwelkte, verwelkte, entfernte sich ins Weite, zögernd, unberührbar, bereits verloren in einem leeren, sauberen Körper, dessen Umrisse sich ausbreiteten, sich entfernten, sich entfernten, und da gab es nur die Luft, so gab es nur die Luft, die Luft, die nicht wusste, dass es sie gab und in Stille, in Stille, hoch wie die Luft. Als sie die Augen aufschlug, erhoben sich die Dinge langsam aus dunklen Wassern und

Weitere Kostenlose Bücher