Der Lüster - Roman
erstrahlten wieder feucht und klangvoll an der Oberfläche ihres Bewusstseins, das noch schwankte von der Ohnmacht. Das Wasser des Staudamms rauschte tief in ihr, so fern, dass es ihren Körper bereits unendlich weit hinter sich gelassen hatte. Der Scharfsinn der kühlen Luft weckte das Fleisch im Gesicht, stach es mit Frische. Mein Gott, wie bin ich fröhlich, dachte sie in einem schwachen und lichten Impuls. Als sie so jugendlich aus der Ohnmacht erwachte, lächelte sie erschöpft, sie fühlte sich in gewissem Sinn zu klein, um ohne schützende Gedanken und ohne Erfahrung oben auf einem Hügel stehen und den anderen Hügel hören zu können, der wie eine andere Welt gewissenhaft seinen Sonntag lebte. Sie spürte im Stillen, dass sie nach einer Ohnmacht dort stand, wo das Leben am höchsten war, denn keine Liebe, keine Hoffnung übertraf dieses ernste Gefühl von einem Flug, der gerade geboren wird. Aber warum besänftigte dieser Moment sie nicht, machte sie nicht zufrieden, wie wenn man ein Ziel erreicht … warum? er verlängerte sie nach oben, streckte sie fast verzweifelt mit der Anspannung eines Bogens, den seine eigene Bewegung füllt … als spürte sie, derart auf dem Gipfel lebend, mehr als die Stärke ihres großen, dunklen Körpers und zerbräche an der eigenen Wahrnehmung. Ihr Herz schlug noch müde, und sie dachte: Ich bin in Ohnmacht gefallen, das war es, ich bin in Ohnmacht gefallen … Sie betrachtete das brennende Licht, rot, flackernd im Halbdunkel der Bäume und Sträucher. Was bedeutete ihr Licht?, fragten beharrlich ihre Augen und schlugen Schneisen in die süße Verwirrung ihrer Müdigkeit. Sie würde nichts verstehen, höchstens zustimmen, und das allenfalls mit dem Kopf, erschrocken nickend. Sie war im Einvernehmen mit dem Spätnachmittag, im Einvernehmen mit dieser zerbrechlichen Kraft, die sie aufrechthielt gegen die Luft, im Einvernehmen mit ihrer fröhlichen Angst – der Angst, sich dem Abendessen zu stellen bei nahezu fremden Leuten, der Liebe Vicentes, ihren eigenen, Tag für Tag falschen Empfindungen? dieser aufmerksame Irrtum – sie war im Einvernehmen mit dem lebendigen Hügel, sagte laut, laut in sich drin: Ach ja, ja! glühend eins und still. Nicht jedoch auf der Ebene der unleugbaren Wirklichkeit, nur in einer gewissen Wahrheit, in der sie alles sagen konnte, ohne jemals zu irren, dort, wo es Irrtum gar nicht gab und wo alles auf unsagbare Weise lebte kraft ein und derselben Erlaubnis, dort, wo sie selbst lebte, glanzvoll erloschen, vage und Ding, schlicht Ding wie das feuchte Blinzeln einer gegen die Luft liegenden Hündin, hechelnd, in tiefem Einvernehmen, ahnungslos wie eine Hündin. Sie fühlte sich fast einer neuen Ohnmacht nahe, dicht am Wunsch nachzugeben – und selbst in der trockenen Gegenwart gehörte sie dem Vorher ihres Lebens, das sich in ruhiger Entfernung verlor.
Nach der Ohnmacht schien alles einfach. Sie kam zurück ins Gleichgewicht. Seit Jahren war sie nicht mehr in Ohnmacht gefallen. Die Nacht brach jetzt fast herein, und wenn Virgínia die Lider senkte, konnte sie die welken Lichtstrahlen spüren wie durchscheinende, düstere Musik, die in weichem Schwall den Berg hinunterglitt, der Kraft des eigenen Schicksals überlassen. Sie umklammerte mit einer Hand den rauen Griff des Regenschirms. Jetzt könnte es unmöglich regnen, spürte sie, während sie zerstreut zum kühlen Himmel hochsah wie in einen Spiegel. Undeutlich hatte sie den Eindruck, dass es ihr ebenso unmöglich gewesen wäre, sich von ihrer Art zu befreien und auf einem anderen Weg weiterzugehen – lächelte sie ein wenig ernst und trieb in einem Gefühl dahin, das erschrocken war, aber in sich ruhig –, so mächtig und gefangen schienen sie selbst und die Natur im schwachen Gleichgewicht ihrer Leben. Aber es gab eine Freiheit – wie einen Wunsch, wie einen Wunsch – über die Möglichkeit zu wählen hinaus, in ihr und in der Natur, und von da rührte die seltsame und müde Gelassenheit dieser fast schon Nacht ohne Regen in den Hügeln, die einmal mehr erneuerte Vagheit in ihrem Körper.
Sie öffnete die Tür zu ihrem kleinen Appartement, trat in die kühle, stickige Atmosphäre des Wohnzimmers. Ein leichter Fleck wiegte sich in einer der Ecken, streute wie ein Licht nahezu erloschene Frische. Sie schrie leise, spitz – sind die schön! –, der Raum atmete mit halbgeschlossenen Augen in der Lautlosigkeit der stummen Spitzhacken der Baustellen. Die Blumen reckten sich in zarter
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