Der Lüster - Roman
schicken. Ja – und sie verbarg die Intensität ihres Blicks, beherrschte sich errötend –, sie sollte für immer festhalten, dass sie einander nicht ertrugen. So wie sie und die Frau von Daniel einander nicht ertragen durften. Sie sah ihn an, ohne jedoch den unklaren Impuls beherrschen zu können, der von dem Männlein ausging. Kleingewachsen, sauber und fein, verbreitete er um sich herum ein trockenes Licht. Es war, als käme er von nirgends im Speziellen; wenn er sich verabschiedete, durchtrennte seine Hand mit ihren hellen Nägeln unsichtbare Verbindungen, und in seiner Distanziertheit schien er auch nirgends so recht hinzugehen. Das Männlein, so nannte sie ihn. Obwohl sie nicht sehr groß war, schien sie ihn doch zu überragen, und das erniedrigte sie; aber er gab keine Anzeichen, etwas davon gemerkt zu haben. Anstelle der Sinnlichkeit von Vicente – sie sah zu Vicente hinüber, der lachte, während er die Brille abnahm und sie mit dem Taschentuch säuberte –, anstelle von Sinnlichkeit schien er eine stille Beharrlichkeit zu besitzen. Wenn sie in einer Bar zusammensaßen, erweckte er weniger den Eindruck, dabei zu sein, als zu warten, er lehnte den schmächtigen Körper nicht an die Rückenlehne des Stuhls, lächelte nur mit gleichmäßigen, sauberen Zähnen; er beglich die gesamte Rechnung, niemand widersprach ihm je, er war reich, und vor allem lag in seiner leichten, direkten Art etwas, dem man nichts entgegensetzen konnte. Er rauchte nicht und trank schnell. Mit Unbehagen sah Virgínia, wie Vicente ihn zahlen ließ, er hielt ihn jedes Mal frei, wenn sie ausgingen – so stand zwischen den zwei Großen das Männlein. Und vor allem war da die fröhliche, genießerische Art von Vicente, der etwas Kindisches bekam neben Adriano, er machte Bemerkungen und wurde ganz lebhaft in der Gesellschaft des anderen, der wiederum ohne Wildheit zuhörte, in seinem Blick dieses merkwürdige Fehlen von Verwirrung. Eines war in ihm nicht, Müdigkeit.
In ihr war die Sorge zu lachen, sooft das nötig wäre, und das machte ihr Gesicht kummervoll wie das eines Tauben, dachte Adriano und kniff die Augen ein wenig zusammen, als hätte er etwas im Ufersand erspäht; aber diese Schwierigkeit, der Unterhaltung zu folgen, diese Neigung zu einer gewissen ruhigen Ausdruckslosigkeit, als dächte sie gerade an nichts; am meisten überraschte an ihr vielleicht eine gewisse Offenherzigkeit, die unbewusst war, aber nicht kindlich; als hätte sie etwas vor langer Zeit begriffen und es zwar lange schon wieder vergessen, aber in ihr bliebe noch die Spur des Verstehens; reden oder sich erklären konnte sie nicht, aber sie bewegte sich, als wäre dies der Fall; gleichzeitig so einfältig, in gewisser Weise niedrig; was man auf den ersten Blick einen gewöhnlichen Menschen nennen würde, geziert wie ein einfältiger, gewöhnlicher Mensch; manchmal jedoch mit einer Haltung, so zutiefst unbekannt, dass man sie eigentlich kaum wahrnahm, eine verwässerte Geste, eine Bewegung auf dem Meeresgrund, erraten an der Oberfläche. Wer? wer dachte? er, er selbst – er erschauerte mit einem strahlenden und gleichsam resignierten Lächeln, einer, der nur halb wach war. Die zu kurz geschnittenen Nägel an die glatt verputzte Wand gelehnt, die Zähne makellos. Seine Finger stießen an den Schein, der Gegenstände und Menschen umstrahlte. Gott, gib denen Genie, die welches brauchen – es sind so wenige; er lächelte mit feinen Lippen, mit seiner hellen und zarten Gesundheit, schüttelte in sein Lachen eine Qualität, die den Niedergang des eigenen Seins niemals erreicht hatte. Er genoss die Situation. Er sah zu Vicente hinüber und stellte ihn mit den Augen neben Virgínia: Vor allem die Blicke der beiden waren die eines Weibchens und eines Männchens, die unterschiedlichen Arten angehörten; allerdings hätte er das Vicente nie gesagt, solcher Art war die Freundschaft, die er ihm zuteilwerden ließ, mit offenen Augen. Seine Gedanken wurden schärfer, intelligent, frisch und leer: Ja, vielleicht könnte er sie sogar lieben, trotz ihrer offenkundigen Bedeutungslosigkeit, dachte er aufgeweckt und suchte erneut eine kleine Strandschnecke im Ufersand. Sie Vicente abzunehmen wäre ein Leichtes, soweit es Vicente anging, überlegte er rasch und interessiert, so wie man über ein verzwicktes, subtiles Problem nachdenkt, sie freilich besaß wohl die Hartnäckigkeit eines Kindes. Er betrachtete sie mit einer gewissen klaren Genauigkeit, wie um das, was er
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