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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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der arbeitet, Staub aufwirbelt und fast singt wie Wäscherinnen. Und auch, weil sie vorher wissen musste, welche Haltung sie ihm gegenüber einnehmen sollte – manchmal merkte sie, dass sie besser vorgebeugt blieb, weil er sich unterhalten wollte. Hinterher war ihr Kopf stundenlang mit Ideen gefüllt, die bereits in Gespräche umgewandelt waren, und mit Bewegungen, die geboren schienen aus ihrer Präsenz vor sich selbst. Ihr Eindruck war dann, dass sie nur über Wörter zu den Dingen gelangen könnte. Es war immer etwas anstrengend, zu verstehen, alles zu verstehen. Sie verstummte und brachte es, anfangs mit etwas Mühe, dazu, dass seine Stimme monoton und heimelig wurde, wie wenn man sich unterstellt vor dem Regen, sie spürte sogar eine gewisse sinnliche Lust dabei, ihm zu lauschen, ohne ihm zuzuhören. Einmal gelang ihr beinahe, ihm klarzumachen, dass sie auch dann bei ihm war, wenn sie abgelenkt blieb. Er hatte gesagt – aber das erfuhr sie erst hinterher:
    »Virgínia, schau dir mal die Wolke an, fast rot …«
    Sie lächelte:
    »Ja, ja …«
    Er musterte sie langsam, durchdringend, nie ließ er sie davonkommen, niemals:
    »Was genau habe ich gerade gesagt?«
    Sie versuchte, es zu wiederholen, kam durcheinander, rot im Gesicht.
    »Ich wusste, dass du nicht zugehört hast«, seufzte er und hob dabei die Schultern.
    Konfus und beredt erklärte sie:
    »Ich habe die Worte nicht gehört, ich weiß wirklich nicht, was genau, aber ich habe dir doch geantwortet, oder? Ich habe gespürt, wie es dir ging beim Reden, ich habe gespürt, wie die Worte waren … Ich weiß, was du sagen wolltest … egal, was du gesagt hast, ganz bestimmt …«
    Sie stellte aufmerksame Fragen und hörte dann nie die Antwort. Aber ihr war es lieber, müde zu werden, als die Ablenkungen geschehen zu lassen. Nicht selten, wenn er zu Ende gesprochen hatte, lachte sie und hätte nicht lachen sollen. Dann sahen sich die beiden einen Moment lang an. Mit einem Mal in eine schreckliche Aufrichtigkeit geworfen, die sich unmöglich verhehlen ließ. Wartend. Und danach trug selbst das, was recht bald an Gutem und Herzlichem folgte, am Grund eine Erinnerung an diesen unleugbaren Blick, aufragend wie ein Standbild. Wäre sie intelligenter gewesen, so hätte sie die Vergangenheit durch neue Worte überdecken können oder auch dadurch, dass sie ein wenig mehr teilnahm an dem, was er sagte. Aber sie hatte nur wenige Gedanken beizusteuern und fürchtete immer, sie zu wiederholen; nie wählte sie den richtigen Ausdruck, immer antwortete sie falsch, selbst wenn sie aufrichtig war. Manchmal wusste sie schlichtweg nicht, was sie ihm erwidern sollte, und stürzte auf der Suche in sich selbst. Während sie ihm keine Antwort gab, verlor sich jeder Moment geräuschvoll in dem klaren Feld ohne Tiefe, das ihre leere Aufmerksamkeit war, und sie überraschte sich dabei, dass sie zusah, wie die Zeit verstrich, anstatt nach einer passenden Antwort zu suchen. Bis eine leichte Verzweiflung sie durchzuckte, sie sah auf die Dinge ringsum, die Welt stand da, unermesslich, klar, lächelnd, sie war dann so erschüttert und verloren, dass der Verzicht ihr nichts mehr ausmachte – bis zum letzten Augenblick zog sie sich blass in sich selbst zurück und suchte dort Zuflucht. Und von dort aus sagte sie fast ohne Bedauern darüber, so oft falsch zu liegen:
    »Ja, Vicente, ja.« Am Ende ja, nichts weiter, das besänftigte alles an seinem Platz. Und wenn sie das Radio einschalteten und ein Lied gespielt wurde, murmelte er:
    »Unerträglich, diese Musik …«
    Er hatte nichts Außergewöhnliches gesagt, aber seine ruhige Ausstrahlung, in der noch nicht einmal Geringschätzung lag, passte zu dieser Art von Tag – auch sie mochte die Musik nicht und machte eine Geste des Widerwillens, die vielleicht zu stark war, die Lippen dünn vor Abscheu. Er lächelte, sah sie an, und sie, lebhaft im Leben, zischte verächtlich und wie triumphierend:
    »Nein, das gefällt mir nicht … das ist so … so zudringlich …« Ihr Gesicht löste sich gleich auf, der Ausdruck darunter kam an die Oberfläche wie verschluckt, überrascht und kindlich, weil Vicente die braunen Augen hinter der Brille aufriss, er versuchte, sie zu verstehen, sein Erstaunen sagte beschämt, wohlwollend: Aber Virgínia …, was soll denn das heißen, Virgínia? Ja, sie hatte sich zu weit vorgewagt; in der Tat, wie konnte die Musik zudringlich sein? Vielleicht hatte sie sagen wollen: Die Musik habe keine Würde in

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