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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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verschwinden – schien ihr, dass sie sich selbst verfehlte, getäuscht und haltlos treibend; und wie hoch der Irrtum war, wie unerreichbar, selbst der Irrtum. Sie betrachtete mit vagen Augen ein gewisses unbewegliches und leichtes Leben um sich herum, während die Lippen sich halb zu einem erschrockenen Lächeln öffneten – mit den Handflächen berührte sie die feinen Streben am Bücherregal, an dem sie saß, und bei dem rauen Kontakt kehrte sie an die Oberfläche des Besuchs und des Abendessens zurück, Maria Clara kam herüber, als wollte sie ihr eine schnelle Blume überreichen, und sagte lächelnd:
    »Virgínia, komm mich doch mal besuchen … Ich sage das nicht nur so dahin«, insistierte sie … »Komm nur … ich lebe alleine … Dann führen wir ein gutes Gespräch unter uns Frauen, wir reden über BH s, Menstruationsbeschwerden … was immer du willst … abgemacht?«
    Virgínia lachte konfus, entzückt, lachte übermäßig, gestikulierte munter: »Ja, ja … abgemacht …« Der Kreis bildete sich eng und geräuschvoll an der Tür, und Virgínia verharrte außerhalb, vor sich breite, dunkle Schultern, geschüttelt von den Zuckungen eines Lachens, an dem sie nicht teilhaben konnte. Ausgestoßen zu werden lag in ihrer Natur. Sie versuchte, sich zwischen zwei Männern hindurchzuschieben, wurde jedoch ihrer Geste gewahr und zog sich zurück, blieb ein paar Schritte von dem Lärm entfernt stehen, sah sich um, frei. Endlich ließ sie den Blick durchs Fenster gleiten, hinaus in die schwarze formlose Nacht, die sich jenseits des bleichen, lebendigen Lichts im Salon ausbreitete. Wo sie auch war, sie konnte immer in die Nacht schauen, dafür war Zeit – die Zweige schwebten über ihr in der eingefrorenen Dunkelheit, und jedes Blatt fügte sich in die Luft ein wie für immer. Die Stadt unten war funkelnd und kalt, von weitem schien sie unbeweglich, ruhig und gefährlich. Und da keiner sie sah, nahm sie von dem Tablett noch ein Glas, trank, hüstelte, niemand merkte etwas, die Dinge schwankten glänzend und atemlos. Alle reichten einer Frau die Hand, auch sie streckte ihr die ihre hin, und nicht lange, da spürte sie den leichten Druck, er war etwas feucht, auf unsympathische Weise nachdrücklich, dazu mehrere Worte. Irene. Das Auto glitt weich dahin, im warmen Inneren atmete der Motor wie ein Herz. Vor lauter Wohlgefühl und Sehnsucht schmiegte sie sich zwischen Vicente und Adriano. Mit blitzenden, vom Whisky harten Augen unterhielten sich die beiden, während sie an Virgínia heranrückten und die Wärme ihres Körpers betasteten, die starren Augen ausdrucksleer, die Worte knapp. Inmitten ihrer Schläfrigkeit fühlte sie sich ein wenig unglücklich und verlassen, die Lider schwer, die Lippen unbeholfen und zynisch. In einer dahintreibenden, flüchtigen Bedrängnis wünschte sie sich Schutz, jemand sollte sie verteidigen, sie für allzu rein halten, um auf diese Weise berührt zu werden, irrtümlich, sie bewegend – zwischen den beiden Männern ließ die Geborgenheit sie versinken. Von der Straße kamen die Klänge einsamer Hupen, und die Pupillen feucht vor Müdigkeit, spähte sie hinaus in die Schatten. Ohne es zu merken, nickte sie kurz ein, den breiten Hut, der weiß im Halbdunkel trieb, fest an sich gepresst, und sah wie im Traum die Lichter blinken in der leeren Stadt. So schnell verstrich die Fahrt, dass sie kurze Zeit später die Laken ihres Bettes zerwühlte, sie öffnete die Lippen und sprach dabei einen Namen voller Weichheit und Dunkel: vicente. Die Blumen bebten lebhaft in der Finsternis. Als würde sie sich auflösen und in die eigene aufgelöste Materie tauchen und in der milchigen, durchscheinenden Düsterkeit selbst dahingleiten, selbst reiner Fisch, die gelassen blitzende Schwanzflosse schwenkend. Ja, vicente. Sie ging weiter, ohne Angst und ohne Eile, die großen, klaren Augen durch sich selbst hindurch verschlossen, während der Mann sich zusammen mit einem anderen Mann in einem Taxi durch die Stadt hindurch entfernte, begleitet davon, dass ihr die beiden fehlten, die Enge zwischen ihnen und die Kränkung, der Halt, den sie ihr gaben auf der Rückbank. Plötzlich schlug die Uhr des Nachbarn drei durchsichtige Noten von unterschiedlicher Klanghöhe, die erste, hoch und erschrocken, verfestigte sie nahezu am Anfang eines Wachzustands, die zweite verweilte zurückhaltend zwischen der ersten und derjenigen, die noch kommen sollte, die letzte war leiser, besänftigend, besänftigend,

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