Der Lüster - Roman
unzählbar … Und sie spürte den Beginn eines Zorns, der ihr schließlich guttat, auf irgendeine seltsame Weise symbolisierte er dieses Abendessen.
»Warum bist du dann gekommen?«, schleuderte sie ihm entgegen, mit subtiler Härte und Ungeduld.
»Entschuldigung«, sagte er leise und wie überrumpelt, mit einem Mal auf die Formen bedacht, vorsichtig, »Entschuldigung, ich habe Sie nie geduzt, es gibt keinen Grund, dass ich mir das jetzt anhören müsste … ich habe mir nie diese Freiheit genommen, die Welt ist mein Zeuge«, und auf einmal kam ihm etwas in den Sinn, er riss den Mund auf, in Entsetzen und Verblüffung. »Sie werden mich doch jetzt nicht in Verlegenheit bringen wollen! Teufel nochmal, ich bin ein verheirateter Mann! ich hab’s Ihnen von Anfang an gesagt, ich habe Sie nie geduzt, habe nie Ihre Hand berührt, das bestreiten Sie nicht, ja? das bestreiten Sie nicht!«
Sehr weiß unter der Lampe, die plötzlich flimmerte in einem Zuwachs stummer Energie, sah sie ihn an, die Lippen ruhig und farblos.
»Sie müssen schon entschuldigen«, fuhr Miguel erschrocken fort, nun schon mit einsetzender Peinlichkeit, »das Abendessen war gut, aber dass ich hergekommen bin, will nichts heißen, finden Sie nicht auch? Ich habe Ihnen gleich angeboten, die Unkosten zu teilen, stimmt’s?«, fragte er nervös und mit einem Mal voller Hoffnung.
»Ja, das stimmt.«
»Na also!«, rief er etwas weniger erstickt, »ich wusste ja, dass Sie vernünftig sind …« Er sprach in verhaltenerem Ton weiter, mit Mühe. »Sie verstehen doch, wenn man verheiratet ist, ist man nicht frei, wer sich gebunden hat, wie man so schön sagt …« Er lachte mit einer bleichen, gezwungenen Grimasse. Die zwei standen immer noch da, ein jeder auf einer Seite des Tischs, neben dem Platz, den sie während des Abendessens eingenommen hatten. Das Schweigen wuchs zwischen ihnen wie ein leerer Ballon, der sich immer gefährlicher mit Luft füllte, und seltsamerweise war es, als könnte dieser Ablauf nicht unterbrochen werden, jedes Wort, das sie herausbringen wollten, starb vage im Angesicht seiner Kraft. Mit harter Lust erinnerte sie sich an die hässlichen Ausdrücke, die sie auf Granja Quieta gelernt hatte – doch etwas wie Scham oder bereits einsetzende Gleichgültigkeit hinderte sie daran, sie auszusprechen, und so wartete sie einen Moment lang aufmerksam, musterte ihn unauffällig mit einem schnellen Blinzeln. Erneut wunderte sie sich über das so starke Licht, ihr kleines Wohnzimmer, das so bereichert war und stumm. Aber wie machte man aus solchen Umständen eine Lebensform? Sie waren nicht plausibel, ihnen schien die ursprüngliche Wirklichkeit zu fehlen; woran sie also binden? Das waren die eigentlichen und wahren Ereignisse, aber sie konnte dem, was geschah, keine Erklärung entnehmen, kein Fazit jenseits der schlichten Wiederholung dessen, was geschah. Miguel wartete mit gewollt ausdruckslosem Blick, in einem Versuch, die Kraft von vorher zu halten und nicht an Terrain zu verlieren; etwas Außerordentliches ereignete sich langsam im Raum.
»Sie sind das Niederträchtigste, was es gibt«, sagte sie laut und einfach, als würde sie singen.
»Aber … was soll denn das …«, sagte der Mann leise, wich überrascht zurück, machte dann ein beleidigtes Gesicht.
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Seien Sie daher so gut und bleiben Sie mir künftig fern.« Sie sprach ruhig und hörte mit Lust und Aufmerksamkeit ihre Worte aus sich herauskommen, lang und direkt; die Müdigkeit von den Vorbereitungen des Abendessens lag ihr schwer im Körper.
»Aber … aber ich habe Sie nicht gekränkt, oder?«, murmelte er.
Sie betrachtete ihn kraftlos, versunken:
»Ja, ja …«
»Ich habe Sie gekränkt?«, rief er außer sich vor Verwirrung.
»Aber nein, Sie haben mich nicht gekränkt. Ich bin einfach nur müde. Leben Sie wohl, leben Sie wohl.«
»Ich wollte noch sagen, dass es nicht meine …«
»Nein, leben Sie wohl, leben Sie wohl«, versetzte sie.
Überrascht und bereits voller Beklommenheit wandte er sich zum Gehen und sah Virgínia dabei mit gequälten und gefügigen Augen an.
»Na, was ist denn das?«, rief sie plötzlich, als sie ihn schon an der Tür stehen sah, sie selbst von einem leichten Fieber ergriffen, »wir müssen doch nicht im Unguten auseinandergehen!«
»Ja, das stimmt, nicht wahr? Nicht wahr?«, rief er hastig, und seine feuchten Augen zwinkerten.
»Aber ja.«
Und da einen Moment lang leere, nachdenkliche
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