Der Lüster - Roman
Stille folgte, sagte sie abschließend:
»Leben Sie wohl, leben Sie wohl«, und stieß ihn fast die Treppe hinunter, als sie die Tür hinter ihm zudrückte.
Sie verbrachte die Vormittage damit, dass sie am Tisch saß und sich ihre Finger besah, die glatten und rosigen Nägel. Ob wohl alle Welt weiß, was ich weiß?, dachte sie tiefsinnig. Sie versuchte sich abzulenken, indem sie ihre geraden Linien zog, ohne ein Lineal zu Hilfe zu nehmen – aber wo war der Zauber an dieser Tätigkeit? Ohne das näher bestimmen zu können, war ihr, als scheiterte sie in jedem Augenblick. Manchmal sprach sie laut einige Wörter aus, und während sie sie hörte, schien ihr in einem unruhigen und köstlichen Befremden, sie sei nicht sie selbst, und dann war sie überrascht, in einem Schrecken, der auch gelogen war. Und dann war sie in einem anderen, schwachen und trunkenen Befremden sie selbst. Mit kleiner, überdrüssiger Stimme, den Kopf wiegend, sagte sie: Also, ich bin nicht glücklich, ich bin überhaupt nicht glücklich. Oder sie ging dazu über, in innerer Aufregung zu leben, in einer glühenden Reinheit, deren Anfang etwas unmerklich Falsches war. Dann konnte sie auch noch die Augen schließen und sich in einer rohen Kraft verschanzen. Da schlug sie zart die Lider auf, ließ diese Kraft sozusagen nach und nach abfließen – und betrachtete die Dinge unter einem gewissen Licht ähnlich einer goldenen Dämmerung, dahinschwebend in einem zitterigen Aufleuchten, allesamt erhellt und fein; die Luft dazwischen war angespannt und kalt, die Geräusche schärften sich zu schnellen Nadeln. Müde geworden, öffnete sie die Augen plötzlich ganz, ließ die Kraft frei – mit einem stummen Knall versiegten die Dinge und wurden grau, hart und ruhig, endlich die Welt. Oder sie war wieder lebendig wie jemand, den es erschauert, eine überraschende Regung. Sie kleidete sich mit einer Sorgfalt, als erwartete sie vor der Tür eine Menschenmenge. Dann ging sie aus dem Haus, schlenderte den Gehsteig entlang und stellte sich zur Schau, die Augen aufmerksam, mit einem Gefühl, als strahlte sie, glühend, ernst. Sie war ein hartes Insekt, ein Skarabäus, sie flog in plötzlichen Linien, stieß gegen die Fensterscheiben, sang dabei schrill. Und wirklich, trotz ihres bescheidenen Äußeren und ihrer blassen Wangen betrachteten einige Leute sie neugierig, oft mit mehr als nur einem Moment der Aufmerksamkeit. Sie belebte sich mit einer geheimen Rohheit; plötzlich war so sehr die einzige Wahrheit, dass die Leute sich vorbereiteten, sich hübsch machten, die Haltung ihrer Kleider annahmen, auf die Straße hinausgingen, sich leuchtend begegneten und zu Hause wieder erloschen – so begriff sie mit Sicherheit und Leidenschaft die Stadt. Sie hielt sich etwas darauf zugute, nicht Esmeralda zu sein. Im einen oder anderen Augenblick wurde sie angesehen, als stünde ihr ein großes Schicksal bevor. Plötzlich, auf einen Blick hin, schien ihr: Der Mann da, der weiß etwas über mich! aber was spielte das am Ende für eine Rolle? damit etwas existierte, brauchte es nicht bekannt zu sein – das war das Gefühl, mit gerunzelten Brauen, und dann kam eine schnelle Ruhe zögerlich hinter dem her, was nicht ganz Gedanke geworden war. Sie kehrte nach Hause zurück, müde, als hätte sie gerade das Fest verlassen, auf dem sie gekrönt worden wäre. Tagelang las sie; sie las wie eine geschminkte Prostituierte, voller Begierde und Überdruss, die in ihrer Seele brannten und sie rasch verdorren ließen. Was sie zu der Zeit am meisten beunruhigte, war, so früh schlafen zu können. Schon im Moment des Erwachens begann sie an den Augenblick des Einschlafens zu denken. Die Art, wie die Stunden verrannen, schien sich unweigerlich geändert zu haben, und sie lebte zwischen ihnen unter dem Druck der Pflicht, den sie ihr vermittelten. Niemand hinderte sie daran, sich um sieben Uhr abends ins Bett zu legen. Sie ließ das Abendessen nur deswegen nicht aus, weil sie sonst schon um fünf Uhr nachmittags so weit gewesen wäre. Sie machte sich rundum bereit, mit Berechnung und Sorgfalt, und hielt dann lange Ausschau, atmete. Am Nachmittag war sie mit der Straßenbahn in eine hübsche und ruhige Straße gefahren und war dabei zu ihrem Entsetzen der garstigsten Alten von Brejo Alto begegnet, die seit ein paar Monaten in der Stadt war, bei ihrer kranken Schwester. Die Straßenbahn fuhr schnell, und sie konnte nichts erspähen. Als die Alte zu reden begann, verspürte sie jedoch nicht
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