Der Lüster - Roman
hatte, und dachte mit schneller Ironie daran, dass in Wirklichkeit oft sie es waren, die ihn verletzten, selbst Virgínia mit gewissen … Einmal hatte er zu ihr gesagt, schüchtern, aber unwiderstehlich: Du sollst mich nicht zwicken. Er errötete ein wenig. Was Irene betraf, hatte er sie nicht mehr ertragen, er hatte sie ein für alle Mal dem lächelnden, leidgeplagten Ehemann zugewiesen, ihn hatte vor sich selbst geekelt, er empfand Mitleid mit ihr und hätte es schrecklich gefunden, dem Kind zu begegnen, der ganzen unruhigen und eleganten Familie. Wie roh die Frauen waren, wie sie täuschten, wie sie glühten, ja, wie sie glühten und vergingen. Sie hatten etwas an sich, das ihm zuwider war. Bis auf Maria Clara. Am Ende machen sie mich kaputt, so sehr lieben sie mich, dachte er und lächelte über diese Albernheit. Das Feingefühl, die Kraft, mit der ich sie umarme, diese kleinen Nutten, das finden sie einfach großartig, schloss er neugierig und erschöpft. Die eigene bittere Sinnlichkeit manifestierte sich als dichtes Zucken in seiner Brust und als scharfer Widerwille. Und diese Geste der Ablehnung entsprang nicht etwa seiner Selbstüberwachung, sie war die Sinnlichkeit. Er stand auf, die Handfläche strich über die vom Rasieren wunde Haut, er betrachtete sich rasch im Spiegel – der schlaue Blick, den er hatte, wenn er allein war; er zog eine fast angewiderte Grimasse, so unvermittelt war das Fehlen einer Beziehung zwischen dem Gesicht und dem Gedanken, und plötzlich empfand er wieder ein großes Unbehagen darüber, allein zu sein. Er ging auf die kleine Terrasse hinaus, beugte sich über die Brüstung und sah auf die ferne Straße hinunter, auf das ruhige Meer, die kleinen Menschen, die ihres Weges gingen und anhielten, um aufs Meer hinauszublicken, die Autos, die vorüberschossen. Drei Mädchen schlenderten dahin und blieben immer wieder lachend stehen. Er verharrte bei ihnen, starr, das verkrampfte Gesicht suchte das Lachen in der Ferne. So viele junge Mädchen zu sehen, alle so fröhlich; wenn er sich in eine von ihnen verliebte, löste er sie aus dem Kreis der anderen und empfing sie als seltenes und gekränktes Wesen. Denn wenn es nicht beim Sehen fröhlicher Mädchen blieb, sprengte das die Fröhlichkeit. Das missfiel ihm. Wie ich das Leben kenne, dachte er mit begieriger Genugtuung. Er lächelte. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie neugierig ich bin zu erfahren, was so auf mich zukommt«, sagte er zu Adriano. Was ihm widerfahren würde, war sozusagen beschränkt, denn wo immer er auf Frauen traf, da würde er sie auch ansehen. Ihm fehlten gewisse Empfindungen, die er sich noch nie hatte verschaffen können. Aber etwas war immer noch nicht in Ordnung, es drehte sich immer weiter – fast so, als wäre dieser Tag ein Jahrestag, wovon, das konnte er mit einer gewissen Qual und Anstrengung nicht näher benennen – ein Bruch? jemand wartete darauf, leise zu lachen, sobald er sich erinnerte, zu lachen, flüsternd und warm … Vera. Vera in Weiß. Mit einem Impuls, dem gleichsam die Wurzeln fehlten, warf er die Zigarette über das Geländer und sah düster auf die unzugängliche Straße hinunter, und dann kam ihm in den Sinn, dass Virgínia nicht kommen würde, und er sagte wütend, gerade deshalb finde er den Tag verwirrend lang, ruhig und umrisshaft. Das war gelogen. Adriano erkundigt sich hin und wieder nach Virgínia, er, der nicht nach Maria Clara gefragt hatte, nach Vera, und der, von Lust geschüttelt, darüber lachte, dass Vicente Irenes gesamte Familie hinters Licht führte, einschließlich des Kindes. Einschließlich des Kindes – wandte sich Vicente überrascht gegen Adriano, missbilligend und zweifelnd. Einmal mehr überkam ihn das Gefühl, dass der Freund in Sachen Virgínia irgendetwas im Sinn habe, dass er ihr mehr Bedeutung beimesse, als sie verdiente. Aber wie sollte er Adriano erklären, dass Virgínia … wenig war? sie hatte etwas Abgeschlossenes und immer Trockenes, wie von Laub Bedecktes. War es das? nein, das war es nicht, denn er war nicht in der Lage zu denken, geschweige denn in Worte zu fassen, was er an vagem Widerwillen gegen diese Frau empfand, die sich ihm nach und nach in den Händen zu entfalten schien und keinen Mann mit Stolz erfüllt hätte. Unbequem, unbequem, ohne Lust zu schenken … Sie empfing ihn oft zerstreut, unkonzentriert. Er brach dann nicht ab, fiel nur in ein Staunen mit offenen Augen, das komische Gefühl, fast lachend vor Überraschung,
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