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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Rede sein; warum so ein Geheimnis darum machen? sie konnte doch kein Interesse daran haben, ihm einen derart einfachen Umstand vorzuenthalten. Nur weil sie immer am liebsten nichts sagte, erriet er mit Missbilligung und Überraschung. Nach ihrer ersten Begegnung hatte er versucht, eine intelligente Liebschaft einzurichten, anfangs dachte er noch, sie sei von dieser Art:
    »Wenn man jemanden zum ersten Mal sieht und auf den ersten Blick wahrnimmt, dass seine Gesichtszüge im Einklang mit der Seele stehen, dann hat man den Eindruck, man würde ihn schon lange kennen« – mehr oder weniger das hatte er zu ihr gesagt, um zu erklären, warum er sich von ihr angezogen fühle. Doch irgendetwas hinderte ihn, im selben Ton fortzufahren. Und einige Minuten später hatte er sich bei der ersten Gelegenheit von einer anderen Seite gezeigt, eine andere Stimmlage ausprobiert, und sich lächelnd erkundigt, auf irgendeinen Satz hin: »Und du? wie weit weißt du Bescheid?« … Er erwartete eine lächelnde Antwort, schelmisch, die eines Menschen, der begreift. Zunächst peinlich berührt, dann mit verstecktem Staunen sah er sie antworten, in ihrer Rätselhaftigkeit und ihrem Ernst fast lächerlich, so dass er errötete und nicht wusste, wohin er seine verstörten Augen wenden sollte:
    »Das weiß ich selbst nicht.«
    Und als er alles für unmöglich angesehen und sich damit abgefunden hatte, ohne das geringste Bedauern, da löste sich der Fall lange Zeit später ganz einfach, und dieses Mal war er ernster und sah ihr schlicht zu, wie sie sich ihm hingab mit wenig Gefühl. Er selbst wusste immer noch nicht, wie alles in diesen Zustand geglitten war. Eines Tages hatte er sie auf der Straße getroffen, sie waren zusammen ein Stück gegangen, ohne dass etwas Besonderes zu sagen gewesen wäre, so sehr schien der Beginn des Schäkerns verflogen, das sie vor über einem Jahr eröffnet hatten. Das Gespräch drehte sich weiter und weiter, sie verabschiedeten sich ohne Bedauern wie für immer, mit einem gewissen Unwohlsein. Und zwei Tage nach dieser Begegnung trafen sie, die sie sich davor doch so lange nicht gesehen hatten, beim Überqueren der Straße erneut aufeinander, zu beider Überraschung, er fasste sie am Arm, weil ein Auto kam, führte sie rasch am Ellbogen wie mit dem Kran abgeschleppt auf den Gehsteig, sie glich einer erschrockenen Henne, der jemand einen Flügel abreißen wollte, sie lachten ein wenig über den Zufall und sahen sich aufmerksam an, während sie lachten. Er ging mit ihr durch die Straßen, schließlich setzten sie sich auf eine Parkbank. Mit einer gewissen Selbstironie, wagemutig ohne übermäßige Lust, lud er sie zu sich ein, sie nahm an, folgte ihm schnell, und an einem anderen Tag kam sie noch einmal, ohne dass er sie dazu aufgefordert hätte, das Gespräch drehte sich weiter und weiter, eher ziellos. Und von da an runzelte sich seine Stirn, wenn er an sie dachte, die Augen schweiften amüsiert umher, unbeschwert und fröhlich. Die Art, wie sie aus dem Fenster sah und sagte: Hier riecht’s nach einem Bad im Meer, machte ihn anfangs nicht ungeduldig. Er versuchte sie zu verbessern: Im Meer zu baden hat keinen Geruch, wenn dir daran liegt, sag, dass es nach Meer riecht, richtig ist eigentlich Meeresluft. Sie aber bekam, auch wenn sie nichts erwiderte, etwas Stilles und Undurchdringliches. Und jetzt zum Beispiel, warum ließ sie sich nicht blicken? Ihm fiel ein, dass er sie eigentlich nie besucht hatte, er könnte hingehen, den Portier nach ihr fragen; er hob die Schultern, mit neugierigem Blick. Der Wunsch überkam ihn, ihr Gesicht wiederzusehen, und da er kurz zuvor an Adriano gedacht hatte, sah er eine Mischung von Adriano mit anderen vor sich und im Hintergrund nur ein vages, flüchtiges Gesicht von Virgínia, ein Aufruf, herbeigetragen von der Erinnerung. Ob sie für mich wohl ein »Jemand« ist? Wie abgespannt und aufgelöst sie bei Irenes Abendessen gewesen war. Mit Vera, alles so kurz, doch sie war nicht einmal »sie« in ihm, wenn er an sie dachte. An Vera dachte er mit einem kleinen Signal von innen, mit etwas, das sie bezeichnete, ohne sie durch ein Wort zu verletzen. Und wenn er mit jemand anderem über sie sprach, tat er es mit Mühe und widerwillig, artikulierte den Namen: »Vera« hart und kalt. Virgínia war immer Virgínia – ihm war, als hätte er sie geraubt, und da sah er sie deutlich vor sich, die braunen Augen, die feine Nase, diese Unentschlossenheit im Gesicht, als könnte sie sich

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