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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Stimme, und diese Befragung war in seiner Erinnerung das Weiblichste an ihr: Und wenn ich jetzt sterben würde? In der Frage lag ein Ton, der ihn noch mehr bedrückte als das Thema selbst. So wie wenn man sich voller Lust anschickte, einen Zug von der Zigarette zu nehmen, und dann merkte, dass sie ausgegangen war, kalt – Zigaretten schienen sein Ausgangspunkt zu sein, Zigaretten und die Brille. Er lachte mit einer gewissen Rauheit: Es war ja nicht so, als hätte er über den Tod nicht nachgedacht. Wenn er ihr hätte sagen können: Lass uns vergessen, vergessen. Aber er hätte nicht einmal fortzufahren gewusst: was vergessen? Sie war ein Ding, bei dem man schaute und sagte: Mein Gott …, mit einem bisschen Jähzorn. Sie war auch nicht so eingebildet wie der Bruder. Und auch nicht schön wie der Bruder. In Wahrheit, überraschend, war sie gar nichts. Und sie hätte sich doch gerade deshalb ändern sollen, weil er sie genau so geliebt hatte. Wie arglos sie wirkte. Ja, arglos und tugendhaft. Dieser leichte Gang, die eingerollten Haltungen, die sie für ihren Körper fand, die Art, wie sie mit einem sprach, den Blick ins Leere gerichtet, all das trug dazu bei, dass er sich ihr zuneigte, ihre Tatenlosigkeit reizte ihn, so wie ihn Veras perfekte Schlankheit gereizt hatte – er brauchte es geradezu, provoziert zu werden in seiner Wut und Verachtung, um dann erst lieben zu können, er fühlte sich dadurch ausgesprochen männlich. Aber jetzt hätte er schon den Wunsch gehabt, sie anders zu sehen. Und letztlich hatte er sogar entdeckt, dass sich unter diesen bezaubernden Verhaltensweisen nichts verbarg, nur Zerstreutheit und eine gewisse Müdigkeit, die bei ihr niemals abklang – dieser Frau, der es nie eingefallen wäre, Sport zu treiben. Er hatte in ihren Haltungen etwas von einer Pose gesehen, und das hatte ihn angezogen. Ihre Schlichtheit jedoch entwaffnete ihn, ihre Aufrichtigkeit. Ach, bitte, befrei dich doch etwas mehr von mir, es beschwert mich, wenn ein Leben so sehr an meinem hängt – hatte er einmal im Streit zu ihr gesagt; ihm fiel auf, dass er immer alleine stritt. Aber sie hatte ihn so merkwürdig angesehen, so klar und seltsam, dass er kurz verstummt war, überrascht und nachdenklich auf sich selbst geworfen mit einer Art Genuss und Dankbarkeit. Mit leiser, gelassener Stimme murmelte er dann etwas, das sie beide in den Fluss der Tage zurückführte. Nein, die Schuld lag nicht bei ihnen, sie hatte auch nicht bei Vera gelegen: Warum nur ist der Mensch, mit dem man zusammenlebt, der Mensch, vor dem man fliehen muss? So belog er genau sie beide. Ihn überkam gegen Virgínia der Zorn darüber, dass sie einander liebten, auf unerklärliche Weise, wie aus einer Laune heraus, der harte Abscheu, an eine Frau gefesselt zu sein, die alles getan hätte, damit sie beide glücklich würden. Gierig war der Drang, der ihn verbrannte, er ließ ihn dort atmen, wo die Auflehnung am reinsten und am genügsamsten war. Da fuhr er sich sogar durchs Haar, um dieses Gefühl ein wenig zu unterstreichen und es auch außerhalb seiner selbst leben zu lassen. Er verabscheute sie dafür, dass sie beide in gewisser Weise ein ruhiges Leben führten, hasste sie dafür, dass es noch nicht einmal sie gewesen war, die ihn dazu gebracht hatte. Doch bereits im Augenblick der Härte lag ein melancholischer Gedanke von Ruhe. Während seine Finger immer wieder beharrlich über den feinen Rand des Zigarettenetuis fuhren, schloss er ein wenig die Augen und stellte sich vor, er wäre frei von Virgínia, presste die Lippen aufeinander mit falscher Schroffheit und falscher Freude, so groß war die ehrliche Kraft, die er verspürte – aber frei zu sein hieß, von neuem zu lieben. Warum forderte sie weniger, als er geben konnte?, fragte er sich wiedererstehend und fliehend. Und dabei war sie so unnötig rätselhaft. Er hatte im Gespräch einen Mann erwähnt, der in der Apotheke arbeitete, und sie hatte gesagt: Mit dem bin ich befreundet. Woher kennst du ihn denn?, fragte er überrascht, vielleicht ein wenig eifersüchtig. Sie antwortete nicht, machte nur eine widerwillige Kopfbewegung, starrte irgendwo auf den Boden, entschlossen und missgelaunt. Wenn er nachbohrte, antwortete sie immer nur: Mit dem bin ich befreundet. Nach einiger Zeit erfuhr er zufällig, dass sie den Mann in der Apotheke kennengelernt hatte, sie hatten sich kurz unterhalten, während sie auf ein Arzneimittel wartete. Davon, dass sie befreundet wären, konnte also gar nicht die

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