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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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nachdenklich, das ganze Wesen geneigt zu einer einzigen, schwierigen und feinen Empfindung. Sie blinzelte im Dunkeln mit Genuss. Und einer neuen Hoffnung, aber nicht auf die Zukunft, einer Hoffnung zu leben in just diesem Augenblick. Da, inmitten des riesigen Raums von Welt, in dem ihr Körper zufrieden stockte, fiel ihr der Vater ein, dessen sie sich einmal geschämt hatte, sie wollte damals nicht, dass ihre Schulfreundinnen sie mit ihm sähen. Ihr fiel die Mutter ein, die manchmal sanft war wie ein Tier auf der Weide und von der sie sich für immer getrennt hatte, als sie zur Welt kam, durch Blick, Tadel und eine unverzeihliche Aufmerksamkeit. Ihr fiel der Mittelpunkt des eigenen Herzens ein, das aus Furcht, Eitelkeit, Ehrgeiz und Feigheit gemacht schien – das war ihr vergangenes Leben gewesen. Sie fühlte sich isoliert inmitten ihrer Sünde; und aus ihrer äußersten Demut heraus, die Augen feucht, voller Inbrunst, gelobte sie plötzlich Besserung, einfach um Gott zu gefallen. Doch aus dem Bewusstsein ihres Übels kam auch eine dunkle, belebte Lust, ein taubes und unschuldiges Gefühl, sie hätte gesiegt, hätte unausweichlich und auf verderbte Weise ein heroisches Leben geführt. Sie lag wach, verloren in einem Halbtraum, in dem sich die Wirklichkeit verformt und weich erhob, ohne Gedanken, in Visionen. Manchmal versank sie tiefer in einer Empfindung, und das war schlafen. Da schreckte sie hoch, einen Augenblick lang an der Oberfläche des Zimmers, während sie Vicentes Atem hörte in einem lauwarmen, eingerollten Schlummer. Sie rückte näher an ihn heran, schmiegte sich an diese laue und gelassene Quelle, aus der ein Duft nach müder Haut kam, sehr angenehm. Erneut verlor sie sich in sanften, außergewöhnlichen Nebelschwaden, auf der Jagd nach einer intimen Lust, die sich nicht näher bestimmte. Sie erstarrte, als sie ihn sagen hörte:
    »… weil ich das Licht nicht ausgemacht habe … aber ich … dass mein Schmerz … mein Schmerz …« Seine Stimme war zäh und langsam.
    »Was ist denn, Liebster?«, fragte Virgínia mit vor Angst pochendem Herzen. Ihr war, als spräche sie mit jemandem, den es nicht gab, und ihre eigene Stimme hatte sie erschreckt, als sie heiser und knapp in der Dunkelheit klang. Vor allem war etwas gelogen. Was ist, Vicente?, zwang sie sich abermals zu fragen und hörte aufmerksam hin; die Stille war so dicht, als wäre die Frage direkt ins Meer gefallen, und ihr wurde klar, dass keine Antwort kommen würde. Obwohl sie keine erwartete, war die Luft zwischen den beiden doch nur eine Pause, und erst nach und nach verschmolz sie zu Stille und verschwand mühsam in der Nacht. Er hatte sich die Hand auf die rechte Seite gepresst und gesagt: Mein Schmerz. War er etwa krank? Sie erschauerte mit einem gewissen Ekel und Stolz; selbst bei Daniel war ihr Krankheit zuwider, sie fühlte sich neben einem, der litt, alleine und kalt. Weicher Regen fiel. Ruhe und Flüstern herrschten, sie überließ sich endlich den Kissen, mit einem Seufzen. Es kam ihr schrecklich vor, eine Frage zu stellen und keine Antwort zu erhalten; man verband sich mit etwas Unsichtbarem, das die Stimme zurückhielt; sie seufzte erneut. Sie versuchte, das kleine Leben wieder zusammenzufügen, dessen Fäden er mit der Stimme zerrissen hatte. Sie drehte den Kopf zu Vicente. Wie die Schuld beiden geben? alles war so schwierig, es gab so viele Formen der Kränkung zwischen denen, die sich liebten, und so viele Formen, einander nicht zu verstehen; nichts Wesentliches war erreicht durch ihre Liebe; sie atmete langsam und sanft, die Hand auf die Brust gelegt, wo ein Herz schlug aus Überraschung, Müdigkeit und Wein. Allmählich nahm sie sich als wach wahr, so als hätte sie frisches Wasser getrunken. Es kam ihr seltsam vor, in die Dunkelheit zu spähen; sie erinnerte sich mit einer gewissen Angst an die eigene Wohnung, die in dieser Nacht verlassen im Dunkeln lag, die Koffer, offen im Wind – eine vage Hitze erhob sie für einen Augenblick über sich selbst und ließ sie ohne Kraft ins eigene Schicksal fallen, unfasslich. Sie dachte an den Abend mit Vicente zurück; das Glück war so heftig, es erschütterte alles; nach den furchtbaren Augenblicken war sie außer sich, unvertraut, neugierig und aus ihrem Inneren entfernt; man konnte also zusammenbrechen vor Glück, sie hatte sich ja so verlassen gefühlt; noch eine Minute der Freude, und gewagte Wünsche hätten sie aus ihrer Welt geschleudert, voll unerträglicher Hoffnung.

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