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Der Lüster - Roman

Der Lüster - Roman

Titel: Der Lüster - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Main> Schöffling & Co. <Frankfurt
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Nein, sie wünschte sich kein Glück, sie war schwach vor sich selbst, schwach, trunken, müde; schnell entdeckte sie, dass die Aufregung sie erschöpfte, dass sie es vorzog, in sich versteckt zu sein, ohne jemals zu beben, ohne je in die Höhe zu steigen; zum ersten Mal merkte sie, wie sie wirklich mehreren Personen, die sie kannte, unterlegen zu sein schien, und bekam davon einen Geschmack nach Unwohlsein und Suchen im Mund, ein gewisses Sehnen ohne Schmerz, so als hätte sie sich unmerklich aus dem eigenen Umriss verschoben; in einem vagen Selbstmord seufzte sie langsam, bettete ihre Beine anders, zog sich zurück, erlosch; sie lief ab wie etwas, das sich in alle Richtungen gleichzeitig bewegte; ihre Brust verengte sich formlos, doch bald gab ihr Vicentes Einatmen einen Rhythmus, und sie glitt in eine gemächliche Müdigkeit ab. In der Stille des ersten Schlummers erhob sich ein fragender Ton, und mit schläfrigen Augen spürte sie eine Bewegung in sich, milchig, vage, fast unruhig, als absurde Antwort. Sie sagte sich fast so etwas wie »nein« und antwortete damit auf »etwas«, das zustimmte und sich zufrieden einrollte, und sie wusste nicht nur, was sein würde, sondern gestand auch gelassen und mit einer gewissen Glut ein, dass es so wäre, so war die einzige Art von Erfahrung, die sie besaß, so war ihr einmaliges Leben ohne Sünde. In der Stille des Raums knarzten die Holzdielen. Dinge begannen alleine zu leben. Sie schlief ein.
    Sie öffnete einen Moment lang die schweren Lider – die klarste Brise eröffnete den Tagesanbruch, Geräusche, leise und licht, verbreiteten sich in der Ferne, während das Zimmer eine nächtliche, lauwarme Stille bewahrte – sie machte die Lider wieder zu.
    Da riss sie hochschreckend die Augen auf – große Wolken aus Helligkeit kamen näher, nach der Regennacht blies ein kalter, harter, erregter Wind, die Luft trieb frisch dahin, feucht und voller Geräusche … Noch unbewusst erschrak sie, der Tag erschreckte sie – die Augen offen … Da durchschnitt sie der Gedanke in einem Wimmern: Gleich kommt der Abschied, der Abschied! heute Abend war es so weit! die Reise! Sie sah sich um: Mit einer fast lächerlichen, siegreichen Überraschung war Vicente nicht da, die Laken zerwühlt, der Abdruck auf dem Kissen … Das Nachthemd an ihrer Schulter verrutscht, sie saß auf dem Bett, dazu diese fröhliche Brise, die einem in die Haare blies, eine Gänsehaut bereitete – sie hielt keuchend inne. Vicente war nicht da, und sie stand schnell auf, überquerte den trockenen, kalten Boden mit nackten Füßen, das weite Nachthemd zerknittert an den Falten, die so sorgsam erdacht waren, um zu gefallen. Auf dem Tischchen im Wohnzimmer sah sie den Zettel von Vicente; Virgínia: Ich musste früh raus, Liebes, die Übersetzung abgeben, morgen hören wir uns bestimmt, heute arbeite ich den ganzen Tag, komm morgen unbedingt vorbei, hast Du denn auch gut geschlafen, Liebste? Dein Vicente, Vicente, Vicente. Sie zog sich eilig an, die Augen groß und stumm, hielt inne und sagte gequält, zutiefst überrascht und in Eile: Arrh!, voller Schmerz, dann kämmte sie sich, ging durch die Dienstbotentür hinaus und sperrte hinter sich ab, schob den Schlüssel unter der Schwelle hindurch. Sie wartete nicht auf den Aufzug, sondern ging die Treppe hinunter, eilig, fand sich auf der Straße wieder. Das Tageslicht drang ihr in die Augen, der morgendliche Geruch nach Meer, nach Benzin, sie zog im Vorwärtsgehen den Kopf ein, fast im Laufschritt, aber der Körper störte sie, angehäuft von den Tagen, die er schon gelebt hatte – sie hatte sich umgesehen, und Vicente war fortgegangen, während sie schlief – sie rannte fast mühevoll, hielt sich plötzlich eine Hand vor den Mund. So sehr, so sehr verletzt … die Brust ausgedehnt, brennend, leer, die Luft kratzte ihr in den Augen, und sie eilte die Straße entlang und schützte sich, als liefe sie gegen Wind und Wetter, den Blick geweitet; sie ging weiter, verharrte dann aber mit der Hand am Busen, der Hut! ach mein Hut! Sie hatte ihn vergessen … Und das gab ihr einen brutalen Stich … Sie öffnete verdattert den Mund, drückte mit den Fingern gegen den Oberkörper: Mein Hut. Die Empfindung des Brustkorbs als einer zerbrechlichen und elektrischen Grenze, die nichts als Luft enthielt, aufgerissene und angespannte Luft; verletzt und sonst nichts, den Körper zurückgestoßen auf eine blasse Entfernung ohne Maß – so würde sie also zurückkehren

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