Der Lustmolch
Geld in Antiquitätenläden und Boutiquen getragen.
Vom Schreibtisch aus blickte Hippokrates sie finster an.
»Ich habe niemandem mit Absicht Schaden zugefügt«, sagte Val. »Es war keine Absicht, du alter Miesmacher. Fünfzehn Prozent aller Depressionen begehen Selbstmord, egal ob sie behandelt werden oder nicht.«
»Was ich auch bei der Behandlung sehe oder höre oder außerhalb der Behandlung im Leben der Menschen, das nicht an die Öffentlichkeit gelangen darf, darüber werde ich in der Überzeugung schweigen, daß Schweigen hier heilig ist.«
»Das Schweigen heiligen oder keinen Schaden zufügen?« fragte Val schaudernd bei der Vorstellung von Bess Leanders Leiche, die an einem Strick baumelte. »Was denn jetzt?« Hippokrates saß auf seinem Stapel Post-its und sagte kein Wort. Wenn sie mit Bess gesprochen hätte, anstatt ihr nur Antidepressiva zu verschreiben, hätte das sie retten können? Möglich war es. Und ebenso war es möglich, daß noch mehr Menschen starben, wenn sie ihre Politik des »Für jedes Problem gibt's eine Pille« fortsetzte. Das Risiko konnte sie nicht eingehen. Falls es möglich war, mit Gesprächstherapie statt Drogen auch nur ein Leben zu retten, dann war es den Versuch wert.
Val schnappte sich das Telefon und drückte die Schnellwahltaste für die einzige Apotheke im Ort, das Pine Cove Drug and Gift.
Eine der Angestellten hob ab, und Val fragte nach Winston Krauss, dem Apotheker. Winston war einer ihrer Patienten. Er war dreiundfünfzig, unverheiratet und hatte fünfunddreißig Kilo Übergewicht. Bei einer ihrer Sitzungen hatte er Val sein innerstes Geheimnis anvertraut: Er fühlte sich sexuell zu Meereslebewesen hingezogen - insbesondere zu Delphinen. Er hatte ihr gestanden, daß er nicht ein einziges Mal »Flipper« hatte anschauen können, ohne eine Erektion zu bekommen, und daß er so viele Jacques-Cousteau-Filme gesehen hatte, daß er bereits Schweißausbrüche bekam, sobald er nur einen französischen Akzent hörte. Zu Hause hatte er einen anatomisch genau nachgebildeten aufblasbaren Tümmler, den er allabendlich in der Badewanne sexuell mißbrauchte. Val hatte ihn davon kuriert, im Haus mit Taucherbrille und Schnorchel herumzulaufen, so daß die roten Druckstellen in seinem Gesicht allmählich verschwunden waren. Doch dem Delphin besorgte er es nach wie
vor jede Nacht, wie er ihr einmal im Monat gestand.
»Winston, hier ist Val Riordan. Sie müssen mir einen Gefallen tun.«
»Klar, Doktor Val, soll ich Molly was vorbeibringen? Ich habe gehört, daß sie heute morgen im Slug ausgerastet ist.« In Pine Cove verbreiteten sich Gerüchte mit Lichtgeschwindigkeit - oder schneller.
»Nein, Winston. Sie kennen doch diese Firma, die originalgetreue Placebo-Versionen von sämtlichen Medikamenten anbietet? Wir haben am College damit gearbeitet. Ich möchte, daß Sie Nachbildungen von sämtlichen Antidepressiva bestellen, die ich verschreibe: Prozac, Zoloft, Serozone, Effexor - die ganze Latte, in allen Dosierungen. Und zwar in großen Mengen.«
»Ich verstehe nicht ganz, Val. Wozu?«
Val räusperte sich. »Ich möchte, daß Sie den Leuten für sämtliche Rezepte, die ich ausstelle, die Placebos geben.«
»Sie machen Witze.«
»Ich mache keine Witze, Winston. Ich möchte, daß meine Patienten von heute an keine echten Medikamente mehr bekommen. Nicht ein einziger.«
»Machen Sie einen Versuch? Mit Kontrollgruppe und so?«
»So ähnlich.«
»Und Sie wollen, daß ich den normalen Preis berechne?«
»Aber klar doch. Unsere übliche Vereinbarung.« Val bekam zwanzig Prozent Provision von der Apotheke. Sie würde nun um einiges härter arbeiten müssen, da stand ihr das Geld ja wohl zu.
Sie hörte, wie Winston durch die Glastür in den hinteren Bereich der Apotheke ging. Schließlich sagte er: »Das kann ich nicht machen, Val. So was ist unethisch. Das kann mich meine Lizenz kosten, und ich wander ins Gefängnis.«
Val hatte inständig gehofft, daß es soweit nicht kommen würde. »Winston, Sie werden es tun. Entweder Sie tun, was ich sage, oder in der Pine Cove Gazette gibt's eine Titelseite über einen Apotheker, der Fische fickt.«
»Das ist illegal. Sie können nicht irgendwas verbreiten, das ich Ihnen in der Therapie erzählt habe.«
»Winston, Sie brauchen mir nicht zu erzählen, was illegal ist und was nicht. Ich bin mit einem Anwalt verheiratet.«
»Ich mache das nur äußerst ungern, Val. Können Sie die Leute nicht zum Thrifty Mart in San Junipero schicken? Ich
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