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Der Lustmolch

Der Lustmolch

Titel: Der Lustmolch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Moore
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den Sinn, was sie ihren Patienten angetan hatte. Ihre Vergehen kreisten in ihrem Hirn herum und suchten einen Ausweg. »Die Psychiatrie betrachtet die geistige Verfassung mehr und mehr unter physischen Aspekten, das haut also hin. Deswegen behandeln wir Depressionen mit Drogen wie Prozac. Aber welchen evolutionären Zweck gibt es für Depressionen?«
    »Darüber habe ich nachgedacht, seit Sie es beim Essen erwähnt haben«, sagte Gabe. Er trank sein Glas aus und rückte näher zu ihr hin, als ob sie, wenn sie ihm näher war, seine Begeisterung eher teilen würde. Er war voll in seinem Element. »Eine Menge Tiere außer dem Menschen bekommen Depressionen. Höhere Säugetiere wie Wale und Delphine können daran sterben, aber selbst Ratten können sich den Blues einfangen. Ich kann mir auch nicht erklären, welcher Zweck dem zugrunde liegt. Aber beim Menschen verhält es sich wie bei Kurzsichtigkeit: Die Zivilisation dient als Schutz für eine biologische Schwäche, die andernfalls durch natürliche Gefahren oder Raubtiere ausgerottet worden wäre.«
    »Raubtiere? Wie das?«
    »Ich weiß nicht. Kann sein, daß Depressionen das Beutetier langsamer machen, daß es weniger schnell auf Gefahren reagiert. Wer weiß?«
    »Folglich kann es sein, daß sich irgendwann ein Raubtier entwickelt, das ausschließlich Jagd auf deprimierte Beutetiere macht?« Aber klar, dachte Val. Meine Beute waren doch auch ausschließlich deprimierte Leute, davon habe ich mich doch ernährt, oder? Mit einem Mal schämte sie sich für ihr Haus und den puren Materialismus, der daraus sprach. Hier war ein unglaublich kluger und brillanter Mann, der sich um das reine Wissen bemühte, während sie ihre Integrität für einen Mercedes und einen Haufen Antiquitäten verhökert hatte.
    Gabe schenkte sich noch ein Glas ein und lehnte sich zurück. Nachdenklich sagte er: »Eine interessante Idee. Ich würde vermuten, daß es einen chemischen oder verhaltenstechnischen Stimulus gibt, der das Raubtier auf das deprimierte Tier lenkt. Ein niedriger Serotoninspiegel kann zum Ansteigen der Libido führen, zumindest zeitweise, das ist doch richtig?«
    »Ja«, sagte Val. Deswegen sind alle in der Stadt geil wie Nachbars Lumpi, dachte sie.
    »Deswegen«, fuhr Gabe fort, »gibt es mehr Tiere, die sich paaren und die genetische Veranlagung zu Depressionen weitergeben. Die Natur neigt dazu, Mechanismen zu entwickeln, um die Balance zu wahren. Ein Raubtier oder eine Krankheit würden natürlicherweise die deprimierte Population in Grenzen halten. Interessant. Ich fühle mich in letzter Zeit ziemlich geil, und ich frage mich, ob ich an Depressionen leide.« Gabe riß die Augen weit auf, und er schaute Val voller Entsetzen darüber an, was er gerade gesagt hatte. Er kippte seinen Wein hinunter und sagte: »Entschuldigen Sie bitte, ich ...«
    Val hielt es nicht mehr aus. Gabes Ausrutscher hatte bei ihr Tür und Tor geöffnet, und sie schritt hindurch. »Gabe, wir müssen uns unterhalten.«
    »Es tut mir echt leid. Ich wollte nicht ...«
    Sie packte seinen Arm, damit er Ruhe gab. »Nein, ich muß Ihnen etwas sagen.«
    Gabe machte sich auf das Schlimmste gefaßt. Eben noch in den luftigen Höhen der Theorie schwebend, war er hinuntergefallen auf das mit Peinlichkeiten verminte, harte Terrain erster Verabredungen, und sie würde nun die Komm-bloß-nicht-auf- falsche-Gedanken-Bombe auf ihn abwerfen.
    Sie packte ihn am Arm, und ihre Fingernägel gruben sich tief genug in seinen Bizeps ein, daß er zusammenzuckte.
    Sie sagte: »Vor etwas mehr als einem Monat habe ich bei einem Drittel der Leute in Pine Cove sämtliche Antidepressiva abgesetzt.«
    »Häh?« Das war keinesfalls das, was er erwartet hatte. »Mein Gott. Warum?«
    »Wegen Bess Leanders Selbstmord. Oder was ich für einen Selbstmord gehalten habe. Ich habe mir in meiner Praxis kein Bein ausgerissen, sondern einfach nur Rezepte ausgeschrieben und Gebühren kassiert.« Sie erklärte ihm ihr Arrangement mit Winston Krauss und daß der Apotheker sich geweigert hatte, den Leuten wieder ihre Medikamente auszuhändigen. Als sie am Ende ihrer Erzählung angelangt war und auf sein Urteil wartete, standen ihr Tränen in den Augen.
    Er legte zaghaft seine Arme um sie, in der Hoffnung, daß dies genau das war, was man in einer solchen Situation tun sollte. »Warum haben Sie mir das erzählt?«
    Sie schmolz an seiner Brust dahin. »Weil ich Ihnen vertraue und weil ich es irgend jemandem erzählen mußte und ich eine Lösung finden

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