Der Mackenzie Coup
Er konnte einen Umweg durch die Princes Gardens machen – die Princes Street selbst wollte er sich nicht noch einmal antun. Vor ihm stand ein großes griechisch aussehendes Gebäude – zwei eigentlich, eins hinter dem anderen. Kunstmuseen, so viel wusste er. Bei einem davon hatten sie im letzten Jahr die Säulen so mit Papier eingewickelt, dass sie wie Suppendosen aussahen. Wegen irgend so einer Ausstellung. Chip erinnerte sich an die drei Typen in der Bar … Er war zu ihnen an den Tisch gegangen, sicher, dass ein Fünfzehn-Sekunden-Blick reichen würde, um sie das Hosenscheißen zu lehren, und so war’s denn auch gewesen. Dieser Katalog, in dem sie geschmökert hatten – voll von Bildern. Und jetzt stand er hier vor der National Gallery of Scotland. Klar, warum auch nicht? Irgendwie so’n Zeichen von oben. Und wenn ihm jemand da rein folgen sollte, wäre die Sache klar gewesen. Als er auf die Tür zuging, hielt sie ihm jemand von innen auf. Chib zögerte, die Hand in der Tasche.
»Wie viel?«, fragte er.
»Der Eintritt ist frei, Sir«, antwortete der Wachmann. Er deutete sogar eine Verbeugung an.
* * *
Ransome sah zu, wie die Tür hinter Chib Calloway zuschwang.
»Jetzt wundert mich wirklich nix mehr«, murmelte er in sich hinein und fischte sein Handy aus der Manteltasche. Ransome war Detective Inspector bei der Polizei von Lothian and Borders. Sein Kollege, Detective Sergeant Ben Brewster, saß in einem Zivilwagen, der irgendwo zwischen Mound und George Street parkte. Brewster nahm sofort ab.
»Er ist in die National Gallery«, erklärte Ransome.
»Um sich dort mit jemandem zu treffen?« Brewsters Stimme klang blechern – als würde er gerade aus irgendeiner Raumstation sprechen.
»Keine Ahnung, Ben. Mir sah es eher danach aus, als wollte er die Playfair Steps hinauf, hätte es sich dann aber anders überlegt.«
»Ich weiß schon, wofür ich mich entscheiden würde.« Brewster gluckste in sich hinein.
»Ich kann auch nicht behaupten, dass ich mich darauf gefreut hätte, ihm hinterherzukeuchen«, pflichtete Ransome ihm bei.
»Glauben Sie, er hat Sie gesehen?«
»Keine Chance. Wo sind Sie?«
»In zweiter Reihe auf der Hanover Street und mach mir damit nicht viele Freunde. Gehen Sie auch rein?«
»Ich weiß nicht. Drinnen besteht eher die Gefahr, dass er mich sieht, als draußen.«
»Also, dass irgendjemand ihn beschattet, weiß er – warum hat er dann die zwei Hampelmänner zurückgelassen?«
»Gute Frage, Ben.« Ransome sah auf seine Uhr. Eigentlich überflüssig – einem Knall zu seiner Rechten folgte ein Rauchwölkchen von der Burgmauer her: die Dreizehn-Uhr- Kanone. Ransom spähte hinunter in die Princes Gardens. An der Seite kam man auch aus dem Museum raus … Völlig unmöglich, beide Türen gleichzeitig im Auge zu behalten. »Bleiben Sie, wo Sie sind«, sagte er in sein Handy. »Ich warte noch fünf oder zehn Minuten ab.«
»Ist Ihre Show«, sagte Brewster.
»Meine Show«, bestätigte Ransome. Er steckte das Handy wieder ein und umklammerte das Geländer mit beiden Händen. Es sah alles so gesittet aus, da unten in den Gardens. Ein Zug ratterte die Gleise entlang in Richtung Waverley Station. Auch da wirke alles sehr ruhig und gesittet – Edinburgh war einfach so eine Stadt: Man konnte sein ganzes Leben dort verbringen und nie auch nur eine Ahnung davon bekommen, was da sonst noch passierte, und wenn’s direkt nebenan war. Er schaute hinauf zur Burg. Manchmal kam sie ihm vor wie eine gestrenge Mutter, die über alles Unziemliche, das sich da unten abspielte, die Stirn runzelte. Wenn man sich den Stadtplan von Edinburgh ansah, fiel einem der Gegensatz zwischen der New Town im Norden und der Old Town im Süden sofort ins Auge. Die »Neustadt« war durchgeplant, geometrisch und vernünftig, die »Altstadt« ein scheinbar chaotisches Durcheinander von Gebäuden, die man überall da errichtet hatte, wo gerade Platz war. In alten Zeiten, heißt es, stockten die Leute die Häuser immer weiter und weiter auf, bis sie irgendwann in sich zusammenstürzten. Ransome liebte nach wie vor die Atmosphäre der Old Town, aber er hatte schon immer davon geträumt, in einer der eleganten georgianischen Terraces der Neustadt zu wohnen. Deswegen kaufte er sich auch jede Woche ein Lotterielos – die einzige Chance, die er bei seinem Gehalt je bekommen würde.
Chib Calloway andererseits hätte sich ein Leben in der New Town spielend leisten können, zog es stattdessen aber vor, in einer
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