Der Mackenzie Coup
Aussicht, bevor er zur Seite ging, um die Informationstafel an der Wand zu lesen, ohne etwas von Chibs wütendem Blick mitzubekommen: Hey, Kumpel, das ist mein Bild, meine Stadt, mein Land …
Ein weiterer Mann betrat den Raum: älter als der Student und besser angezogen. Ein schwarzer Wollmantel, der ihm fast bis zu den Füßen reichte. Die Schuhe schwarz, blank und ohne einen Kratzer. Er hielt eine zusammengefaltete Zeitung in der Hand und sah mit seinem betont gelangweilten Gesicht so aus, als schlüge er lediglich die Zeit tot. Chib schaute ihn sich trotzdem genau an und gelangte zu dem Ergebnis, dass er das Gesicht von irgendwoher kannte. Sein Magen krampfte sich zusammen – war das sein Beschatter? Wie ein Gauner wirkte er eigentlich nicht, aber auch nicht wie ein Bulle. Wo hatte er ihn schon mal gesehen? Der Museumsbesucher hatte das Bild lediglich mit einem Blick gestreift und schlenderte jetzt weiter. Als Chib ihn endlich untergebracht hatte, war er schon aus dem Raum.
Chib stand auf und folgte ihm.
4
Mike Mackenzie hatte den Gangster auf den ersten Blick erkannt und hoffte, es würde nicht zu sehr auffallen, wenn er den Raum sofort wieder verließ. Diese Sammlung war sowieso nicht sein Ding; ins Zentrum war er nur gekommen, um ein bisschen zu shoppen: zuerst Hemden (hatte allerdings nichts nach seinem Geschmack gefunden), dann ein Eau de Cologne und anschließend ein kleiner Abstecher in die Thistle Street und in Joseph Bonnars Juweliergeschäft. Joe war auf hübsche alte Stücke spezialisiert, und Mike hatte Laura im Auge gehabt, als er dorthin gegangen war. Er hatte an ihren Opalanhänger gedacht und sich vorgestellt, wie sie etwas anderes, etwas Ungewöhnliches trug.
Etwas von ihm.
Aber obwohl Joe ein Meister seines Fachs war – wovon eine Taschenuhr Mikes Zeugnis ablegte –, war es ihm nicht gelungen, Mike zu becircen. Hauptsächlich, weil Mike plötzlich dachte: Was, zum Teufel, treibe ich hier eigentlich? Würde Laura ihm für die Geste danken? Was genau würde sie da hineinlesen? Mochte sie überhaupt Amethyste und Rubine und Saphire?
»Beehren Sie uns wieder, Mr. Mackenzie«, hatte Bonnar gesagt, als er ihm die Tür aufhielt. »Sie waren so lange nicht mehr hier.«
Also: keine Hemden und kein Schmuck. Der Dreizehn-Uhr-Schuss hatte ihn auf der Princes Street überrascht, ohne rechten Hunger für Lunch und nur einen Steinwurf von der National Gallery entfernt. Sein Kopf fühlte sich wie verstopft an; schwer zu sagen, warum es ihn dorthin gezogen hatte. Da hingen durchaus ein paar hübsche Sachen, aber das Ganze wirkte auf ihn ein bisschen steif und bemüht. »Kunst tut gut«, schien die Sammlung zu sagen. »Bedienen Sie sich.«
In den letzten Tagen war ihm Professor Gissings Philippika gegen den Missbrauch von Kunst als Geldanlage nicht aus dem Kopf gegangen. Er fragte sich, wie viele Kunstwerke dieser Welt in Banktresoren und Safes lagerten. Spielte es irgendeine Rolle – wie bei ungelesenen Büchern und ungehörter Musik –, wenn Kunst unsichtbar blieb? Innerhalb einer Generation würde sie immer noch dort sein und ihrer Wiederentdeckung harren. Und war er selbst auch nur einen Strich besser? Er hatte Provinzmuseen besucht und sich deren Sammlungen angesehen und dabei gewusst, dass er von manchen der dort ausgestellten Künstler durchaus bessere Arbeiten bei sich zu Haus hängen hatte. War nicht jedes Haus und jedes Wohnzimmer so etwas wie ein Privatmuseum?
Ein paar dieser armen gefangenen Gemälde zur Flucht verhelfen.
Nicht aus öffentlichen Sammlungen natürlich, aber aus Wandtresoren, Banksafes und den unzugänglichen Räumen und Korridoren all dieser Kunst hortenden Konzerne. Die First Caledonian Bank beispielsweise besaß eine Sammlung im Wert von etlichen Millionen – die meisten der üblichen Verdächtigen (darunter sogar ein früher Bacon) und dazu die Creme der jungen Talente, vom Portfoliokurator der Bank auf den vielen Abschlussausstellungen des Vereinigten Königreichs abgeschöpft. Auch andere Unternehmen in Edinburgh unternahmen entsprechende Fischzüge und saßen auf ihrer Beute wie ein Geiziger auf einer Matratze voller Geldscheine.
Mike kam eine Idee: Und wenn er mit gutem Beispiel voranginge? Ein kleines Museum eröffnete und darin seine eigene Sammlung ausstellte … Könnte er dann andere dazu bringen mitzumachen? Mit der First Caly und all den anderen Big Players redete, was auf die Beine stellte. Vielleicht war das der Grund, warum es ihn zur National
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