Der Maedchensammler
drehe ich nur noch Däumchen. Es wird eine Erleichterung sein, mich wieder meiner Arbeit widmen zu können. Giulia hat sehr kleine, interessante Gesichtsknochen …« Sie drehte sich zu Jane um, die am Fuß der Treppe stehen geblieben war. »Kommst du nicht mit rauf?«
»Nein. Ich gehe noch ein bisschen in den Garten. Ich bin zu unruhig.« Sie lächelte. »Ich habe keine Giulia, die mich ablenkt.
Wir sehen uns beim Abendessen.«
»Bleib in der Nähe«, sagte Eve. »Joe hat so viele Wachen überall verteilt, dass ich denke, im Garten bist du so sicher aufgehoben wie im Haus, aber es ist mir lieber, dich innerhalb von vier Wänden zu wissen.«
»Am See bin ich doch auch immer spazieren gegangen.«
»Hier ist es anders. Alles wirkt fremd.«
Ihr war hier nichts fremd, dachte Jane, als sie die Terrassentür öffnete, die in den Rosengarten führte. Seit dem Tag ihrer Ankunft in Herkulaneum kam ihr alles seltsam vertraut vor.
Auch jetzt empfand sie die Sonnenwärme auf den Wangen, den Rosenduft und das Plätschern des Springbrunnens als tröstlich und beruhigend.
»Sie wirken sehr zufrieden. Es widerstrebt mir beinahe, Sie zu stören.«
Sie zuckte zusammen und fuhr herum. Trevor trat aus dem Haus. »Dann lassen Sie es. Es sei denn, Sie haben einen guten Grund.«
»Den habe ich. Jetzt, nachdem der Startschuss gefallen ist, wollte ich Ihnen die Spielregeln erklären.« Er ließ seinen Blick über den Garten schweifen. »Schönes Plätzchen. Wie ein Garten aus einer längst vergangenen Zeit. Man kann sich direkt vorstellen, wie vornehme Damen in weißen Gewändern und Turnüren hier über die Pfade wandeln.«
»Zum Glück haben Sie nicht gesagt ›Damen in weißen Togen‹. Ich hab allmählich genug von all den Geschichten aus dem Altertum.«
Er musterte ihr Gesicht. »Sie wirken aber keineswegs gestresst.«
»Ich komme zurecht.« Sie wandte sich ab. »Mussten Sie Eve unbedingt mit diesem Skelett behelligen? Wie groß ist die Chance, dass Aldo nahe genug kommt, um sie bei der Arbeit zu sehen oder einen Blick auf die fertige Rekonstruktion zu werfen?«
»Groß genug. Man kann nie wissen, ob er es schafft, sich die Rekonstruktion im Sarg anzusehen. Sicher ist sicher. Außerdem fühlt Eve sich wesentlich wohler, wenn sie arbeiten kann.«
»Haben Sie es deshalb getan?«
»Ich mag Eve«, antwortete er ausweichend. »Einer Frau wie ihr fällt es schwer, über längere Zeit tatenlos herumzusitzen.«
»Ja, das stimmt.« Und er war so sensibel, dass er ihr Bedürfnis erkannt und Abhilfe geschaffen hatte. »Also gut. Wie lauten die Spielregeln? Darf ich nicht im Garten spazieren gehen?«
»Doch, aber halten Sie sich vom Tor fern. Und verlassen Sie die Villa nicht ohne Quinn oder mich.«
»Ich hatte nicht vor, wegzugehen. Dazu besteht kein Grund.«
Sie schaute zu dem gusseisernen Tor hinüber. »Er wird zu mir kommen.«
»Wahrscheinlich.« Trevors Blick folgte dem ihren. »Aber spielen Sie ihm nicht in die Hände.«
»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen. Ich mag vielleicht ein Schulmädchen sein, aber ich bin nicht blöd.«
Er verzog das Gesicht. »Das hat wirklich gesessen, stimmt’s?«
»Sie haben nur ausgesprochen, was Sie gedacht haben.« Sie schaute ihn kühl an. »Ich bin ein Schulmädchen, und ich schäme mich nicht dafür. Aber auch wenn ich ein Teenager bin und noch zur Schule gehe, heißt das noch lange nicht, dass ich hinterm Mond lebe. Seit ich fünf Jahre alt war, habe ich auf der Straße gelebt, und ich kannte jede Prostituierte und jeden Drogendealer im Süden von Atlanta. Im Alter von zehn Jahren wusste ich bestimmt mehr vom Leben, als Sie bei Ihrer Entlassung aus dem Waisenhaus. Ja, es hat gesessen, aber ich habe darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass Sie nicht die Bohne über mich wissen und dass das Ihr Pech ist.«
»Da haben Sie allerdings Recht.« Er lächelte. »Und das wird mir von Minute zu Minute klarer. Werden Sie mir vergeben?«
»Nein.« Sie schaute zum Springbrunnen hinüber. »Sie haben mich nicht als Individuum betrachtet. Das ist es, was ich Ihnen nicht verzeihen kann. Sie haben mich mit allen Teenagern in einen Topf geworfen und mich stehen lassen. Das ist nicht weiter schlimm. Ich brauche Sie nicht. Aber in gewisser Weise sind Sie genauso wie Aldo. Er hat mein Gesicht gesehen und weiter nichts.«
»Wenn man sich mit einer jungen Frau Ihres Alters einlässt, trägt man eine große Verantwortung«, erwiderte er ruhig. »Ich wollte Sie nicht
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