Der Maedchensammler
ihm.
Als er sich umdrehte, sah er sie mit der Zeichnung in der Hand in der Tür stehen. »Das hat aber verdammt lange gedauert«, sagte er knapp.
Sie überquerte die Veranda und setzte sich neben ihn auf die Stufe. »Ich musste mich sehr konzentrieren. Es war seltsam …
Beim Zeichnen habe ich sein Gesicht ganz deutlich vor mir gesehen, jeden seiner Züge, als würde er direkt neben mir stehen. Dabei habe ich ihn nur ein paar Sekunden lang gesehen, und ich konnte nicht verstehen, warum ich mir so sicher war.«
Sie zuckte die Achseln. »Jedenfalls hatte ich Angst, dass ich etwas Falsches zeichnen könnte. Deswegen habe ich mir sehr viel Zeit gelassen.«
»Und jetzt bist du dir sicher?«
Sie schlug ihren Zeichenblock auf. »Das ist Aldo.«
Breites Gesicht, hohe Stirn, Hakennase. Sein Haar war schulterlang, aber am Ansatz schon schütter. Er hatte dunkle, tief liegende Augen, die feindselig aus der Zeichnung starrten.
»Ich weiß, du hast es lieber, wenn die Gesichter ausdruckslos sind, weil niemand mit einer Miene wie Jack the Ripper rumläuft. Ich hab’s versucht. Wirklich. Ich habe die Zeichnung dreimal neu angefangen, aber jedes Mal hatte er diesen Blick.
Ich glaube, das ist, weil ich weiß, dass er mich so ansehen wird, falls ich ihm jemals wieder begegne.«
Joe betrachtete das Porträt. »Und? Macht dir das Angst?«
»Manchmal.«
»Warum zum Teufel bist du dann zu ihm in den Wald gelaufen, anstatt dich an mich zu wenden?« Er hob den Kopf und durchbohrte sie mit seinem Blick. »Und warum hast du mich wegen Trevor angelogen?«
»Es schien mir in dem Moment das Richtige zu sein.«
Sie lächelte reumütig. »Und es hat noch nicht mal was genützt.
Du hast mich sofort durchschaut.«
»Ich kenne dich und Eve lange genug, um euch beide zu durchschauen. Aber ich konnte es nicht fassen, dass ihr euch so gegen mich verschwören würdet.«
»Und es hat dich verletzt.«
»Allerdings.«
Zögernd legte sie eine Hand auf seinen Arm. »Wir haben uns nicht gegen dich verschworen. Es war nicht Eves Schuld.«
»Du brauchst sie nicht in Schutz zu nehmen. Schweigen ist auch eine Aussage.«
»Sie wollte nicht, dass du eine Entscheidung treffen musst.«
»Ich bin es gewohnt, Entscheidungen zu treffen. Das ist immer noch besser, als keine Wahl zu haben.« Er betrachtete wieder die Zeichnung. »Ich weiß, du und Eve, ihr beide steht euch so nahe wie siamesische Zwillinge, aber ich dachte, wir beide hätten auch eine Beziehung.«
»Die haben wir.« Ihre Stimme zitterte. »Als ich zu euch kam, ist es mir schwer gefallen, mich daran zu gewöhnen, dass jemand … ich habe meinen Vater nie gekannt. Ich hatte keinen Bruder. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie jemandem vertraut. Nicht wirklich. Mit Eve war es einfach. Sie war wie ich. Du warst anders. Ich habe Zeit gebraucht, aber dann habe ich angefangen … dich zu mögen. Ich wusste, dass du mich nie im Stich lassen würdest.«
»Warum bist du dann nicht zu mir gekommen, als du wusstest, dass sich dieser Mistkerl Toby geschnappt hatte?«
»Ich bin für Toby verantwortlich. Ich musste eine Entscheidung treffen.«
»Du bist erst siebzehn.«
Sie nickte. »Aber meinst du nicht, dass manche Menschen alt geboren werden?«
»Du meinst, mit alten Seelen?«
Sie hob die Schultern. »Ich weiß nicht. Das klingt irgendwie verrückt. Ich kann mich einfach nicht erinnern, mich jemals wie ein Kind gefühlt zu haben.«
Und er konnte sich nicht erinnern, dass sie sich je wie ein Kind benommen hatte. Höchstens annähernd, wenn sie mit Toby durch den Wald rannte. »Das ist ziemlich traurig.«
»Nein, ist es nicht. Es ist einfach, wie es ist. Ich wette, Eve geht es genauso.«
Er lächelte schwach. »Ah, dein Vorbild.«
»Ein besseres könnte ich mir nicht wünschen.«
Seine Miene wurde wieder ernst. »Nein, da hast du Recht.« Er legte seine Hand auf ihre. »Aber ihr könntet beide ein bisschen mehr Vertrauen haben.«
»Ich werde mir Mühe geben.« Sie drückte seine Hand. »Aber mit Eve musst du allein zurechtkommen. Immerhin müsstest du wissen, dass sie auf deiner Seite ist.«
»Mit verdammt vielen Vorbehalten.«
Jane schüttelte den Kopf. »Hast du dich in all den Jahren je gefragt, warum du mit Eve zusammengeblieben bist?«
»Nein. Ich liebe sie.«
»Aber auf die Dauer muss es sehr schwer sein, jemanden wie Eve zu lieben, da sie einem doch immer erzählt, wie viele Verletzungen sie davongetragen hat.«
Seine Augen wurden schmal. »Worauf willst du
Weitere Kostenlose Bücher