Der männliche Makel: Roman (German Edition)
zu gehen. Wir haben nach Mitternacht. Du kriegst niemals ein Taxi, um nach Hause zu fahren.«
»Gut, dann laufe ich eben.«
»Ich finde, du verhältst dich kindisch.«
Sobald ich den Satz ausgesprochen habe, möchte ich ihn wieder zurücknehmen.
Seine Reaktion besteht nur aus einem langen, kalten Blick. Das zärtliche Funkeln ist aus seinen Augen verschwunden.
»Ich glaube, die Zeiten, in denen du mir sagen konntest, wie ich mein Leben zu führen habe, sind vorbei«, entgegnet er mit Bitterkeit im Ton.
»Darf ich es dir nicht erklären? Nach allem, was ich für dich getan habe, könntest du es mich dir wenigstens erklären lassen.«
»Da gibt es nichts zu erklären«, erwidert er, während er ein Hemd und eine Jacke ordentlich in seinem Koffer verstaut.
»Was mich betrifft, Eloise, brauchst du im Moment nur zu wissen, dass ich deine Gegenwart jetzt nicht aushalte.«
»Jake, du musst mir glauben. Ich wollte es dir dieses Wochenende sagen … morgen. Ich hatte alles geplant … ich habe es ja schon früher probiert. Erinnerst du dich an unser Abendessen letzte Woche? Ich war fest dazu entschlossen, es dir zu erzählen, aber …«
»Offenbar nicht entschlossen genug.«
»Lässt du nun endlich die dämliche Packerei und hörst mir zu!«
Wieder ein kalter Blick.
»Also los.«
»Jake, du hast ja keine Ahnung, wie sehr mich die Sache belastet hat. Aber du musst verstehen, dass ich dir nur deshalb nicht früher reinen Wein eingeschenkt habe, weil ich eine Todesangst hatte, dass du dann nichts mit uns zu tun haben willst. Glaube mir, ich habe es versucht, doch es ist immer etwas dazwischengekommen … zum Beispiel deine Prüfungen letzte Woche … also dachte ich …«
»Heißt das im Ernst, dass du die bescheuerten Prüfungen wichtiger gefunden hast als die Tatsache, dass ich Vater bin, dass wir ein Kind haben und dass du mich ab dem ersten Tag getäuscht hast? Herrgott, Eloise, weißt du überhaupt, was du da redest?«
»Hör zu, ich hätte früher ehrlich zu dir sein müssen …«
»Viel früher …«
»Aber abgesehen davon«, fahre ich fort, absichtlich ruhig und gelassen, »ist mein einziges Verbrechen, dass ich dir helfen wollte …«
»Du hast mich praktisch vom ersten Tag an angelogen, und zwar in allem. Soll das deine Entschuldigung sein?«
»Nun, du hast zuerst gelogen!«
»Wie soll ich dich angelogen haben?«
»Verzeihung, aber erinnerst du dich an das Aufnahmeformular, das du im Reilly Institute ausfüllen musstest? Herrgott, fast alles, was darin stand, war frei erfunden! Erstens hast du deinen Namen mit William Goldsmith angegeben.«
»Das habe ich dir ja schon erklärt.«
»Und dass du eine Doktorarbeit über den ökonomischen Untergang und den Weg zur Besserung in unserem Land geschrieben hast.«
»Jetzt geht es wieder los mit deinem fotografischen Gedächtnis.«
»… dass du konzertreif Klavier spielst.«
»Was hätte ich denn schreiben sollen? Trillerpfeife?«
»… und darf ich noch anmerken, dass du am Trinity College angeblich Goldmedaillen im Zweihundertmeterlauf gewonnen hast und Mitglied der Rudermannschaft warst?«
»Hörst du jetzt endlich auf? Was hätte ich denn sagen sollen? Dass ich Darts spiele?«
»Jake, ich habe all das geglaubt! Ich bin auf jeden Satz hereingefallen, und es war erstunken und erlogen.«
»Ich habe das Geld gebraucht. Also hätte ich alles Mögliche behauptet«, erwidert er kühl. »Gut, dann habe ich vor vier Jahren auf einem bescheuerten Formular in einem Krankenhaus gelogen. Meinst du, die hätten mich genommen und mich bezahlt, wenn sie gewusst hätten, wer ich wirklich bin? Außerdem, was ist mit dir? Verglichen mit dem, was du getan hast, ist das ein Klacks. Praktisch jedes Wort von dir, seit wir uns kennen, war nichts als Mist. Erst hast du mich in Wheatfield aufgespürt und mir diese Schwachsinnsgeschichte aufgetischt, du würdest für einen Artikel darüber recherchieren, was aus Sträflingen nach ihrer Entlassung wird.«
»Ich wollte dir helfen!«, beharre ich. Meine Stimme wird in direktem Verhältnis zu meiner wachsenden Verzweiflung immer höher und schriller. »Mehr wollte ich wirklich nicht. Du musst mir glauben.«
»Nur noch eine Frage, bevor ich gehe«, sagt er. Inzwischen hat er fertig gepackt, eine Hand am Türknauf und schickt sich an zu verschwinden.
»Warum, Eloise? Warum hast du das alles gemacht? Warum hast du dich mit jemandem wie mir abgegeben?«
Ich versuche, mich zusammenzunehmen, was nicht leicht ist, da ich
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