Der männliche Makel: Roman (German Edition)
denn wenn ich es ihm jetzt nicht sage, bevor er geht, habe ich vielleicht nie wieder Gelegenheit dazu. »Ich wollte nur, dass Lily auf ihren Vater stolz sein kann! Und schau dich an, Jake. Schau, wie weit du es gebracht hast! Vor ein paar Monaten hast du noch befürchtet, keine Bewährung zu kriegen, und jetzt … Du bist …«
Ich schaffe es nicht, den Satz zu beenden. Wie gerne würde ich ihm sagen, wie sehr er mir ans Herz gewachsen ist und wie sehr ich mich mittlerweile auf ihn verlasse. Doch die Worte bleiben mir im Halse stecken.
»Das weiß ich«, spricht Jake gleichmütig weiter. »Du brauchst es mir also nicht unter die Nase zu reiben. Du hast mich zu einem anständigen Menschen gemacht. Ein Vater aus der Arbeiterschicht war nicht gut genug für dich, das passte nicht zu deinen bürgerlichen Vorstellungen. Stattdessen hast du mich zum mustergültigen Dad geformt. Mein Gott, Eloise, ist dir eigentlich klar, was für ein Snob du bist?«
Als er mich so mit Vorwürfen und Beleidigungen überhäuft, steigt Wut in mir auf und verleiht mir neue Kräfte.
»Es ging doch nicht nur darum, was ich wollte«, entgegne ich zitternd. »Du wolltest es doch auch. Los, Jake, so gib es schon zu. Du hast dir auch ein Leben in der Mittelschicht gewünscht. Verdammt, du bist ein erwachsener Mann. Niemand hat dich dazu gezwungen. Also ist es nicht fair, wenn du mich als Snob bezeichnest. Ich habe viel falsch gemacht, und ich bereue es wirklich. Aber bitte versteh, dass ich es aus den richtigen Gründen getan habe. Ich wollte, dass du deine Fähigkeiten nutzt. Mehr nicht, das schwöre ich dir …«
»Und du hast mich dabei die ganze Zeit nur angelogen.«
Für den Bruchteil einer Sekunde sehen wir einander an wie zwei Schauspieler auf der Bühne, die ihren Text vergessen haben.
Es ist ein herzzerreißender Moment, doch er ist im Nu vorbei.
»Versuche nicht noch einmal, mich zu finden, denn das wirst du nicht schaffen«, lauten seine Abschiedsworte, und ich schwöre, es fühlt sich an, als hätte mir jemand ein Messer ins Herz gestoßen.
Dann ein schnelles und kräftiges Türenknallen. Und Schluss.
Danach stehe ich lange Zeit stocksteif da. Ich kann mich nicht rühren, und das Blut rauscht in meinen Ohren.
Ich brauche eine Weile, um zu begreifen, dass er wirklich fort ist.
Für immer.
Teil vier
Kapitel zwölf
Seth Coleman hatte noch nie so viel Spaß bei einem der grässlichen Firmenwochenenden wie dieses Mal. Bis jetzt hatte er sich auf solche Veranstaltungen gefreut wie auf eine Wurzelbehandlung. Denn der Vorstand hatte bei dieser Gelegenheit Eloise Elliot stets bis zum Erbrechen und über den grünen Klee gelobt.
Das war die große Zeit von Madame Elliot gewesen, als niemand in der Chefetage auch nur einen Kratzer an ihrer Fassade hatte erkennen können. Alle, angefangen bei Sir Gavin, hatten vor ihr gekatzbuckelt und jeden von Seths berechtigten Einwänden mit einem »Wissen Sie, Eloise hat in der Vergangenheit Wunder bewirkt, also sehen wir mal, wie sie es diesmal regelt« abgetan.
Und so hatte Seth sich bedeckt gehalten, auf Zeit gespielt, den richtigen Moment abgewartet und zugesehen, wie die Online-Ausgabe Geld verschlang und es mit der Auflage stetig bergab ging. Natürlich war es leicht, alles auf die Rezession zu schieben. Das Geld saß den Leuten einfach nicht mehr so locker. Ein weiterer Grund, warum die Online-Ausgabe wichtiger war denn je. Und dass dort Madame Elliots Schwachstelle lag, war nur allzu offensichtlich. Ihre Herangehensweise war bestenfalls miserabel zu nennen und eindeutig nicht von Erfolg gekrönt. Und das hieß ganz klar, dass nun Seths Stunde geschlagen hatte.
Nun sah es endlich ganz danach aus, als würde sich das lange Warten bezahlt machen. Seit Wochen schon bereitete Seth alles vor und hatte nicht nur Sir Gavin, sondern auch zwei andere sorgfältig handverlesene Vorstandsmitglieder bearbeitet. Es war erstaunlich einfach, Eloise Elliots bisherige Leistungen beiseitezuwischen und zu betonen, dass sich eine »Veränderung von oben« zum allgemeinen Vorteil auswirken würde.
Es war wirklich ein Kinderspiel. Man brauchte sich die Herren nur vorzuknöpfen, sie bei einem vertraulichen sonntäglichen Abendessen zu impfen und ihnen einzuflüstern, was jetzt zu tun sei. Natürlich war es dabei wichtig zu betonen, dass man vor allem schnell handeln musste.
Eloise habe nun lange genug die Zügel in der Hand gehabt, war sein wichtigstes Argument gewesen. Und habe sie nicht untätig mit
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