Der männliche Makel: Roman (German Edition)
wieder herunterschrauben und dich auf Kommerz einlassen.«
»Eloise, nimm das jetzt bitte nicht persönlich, aber was verstehst du von Kultur? Du gehst ja nie irgendwohin.«
Verdattert starre ich ihn an. Es geschieht nicht oft, dass mich jemand auf mein Privatleben anspricht, und obwohl er recht hat, höre ich es nicht unbedingt gern. Gut, Marc und ich kennen uns schon sehr lange, wir waren nämlich zusammen auf dem College. Deshalb weiß er, dass er bei mir kein Blatt vor den Mund zu nehmen braucht.
Was er jedoch nicht weiß, ist, dass die Kosten, die in seinem Ressort auflaufen, dem Vorstand ein Dorn im Auge sind. Wenn das Fallbeil kommt, was ganz sicher geschieht, wird das Feuilleton sicher zuerst einige Einschnitte hinnehmen müssen. Und Marc, der schon so lange hier arbeitet wie ich und ein nach Auffassung des Vorstands viel zu hohes Gehalt bezieht, könnte dem Stellenabbau zum Opfer fallen.
Marc sei ein guter Journalist, habe ich schon oft beteuert. Und außerdem habe er Kultstatus. Die Leser kauften die Samstagsausgabe nur wegen seiner Kolumnen und Kritiken. Das ist offen gestanden der wichtigste Grund, warum er sich in diesem Spiel schon so lange hält. Doch er könnte in Schwierigkeiten geraten, wenn er sich nicht besinnt und aufhört, so ein Kultursnob zu sein.
Und ich bin nur so brutal zu ihm, weil ich nicht möchte, dass er seinen Job verliert. Nicht, solange ich hier etwas zu sagen habe.
»Oh, natürlich fördere ich die Künste.« Ich lächle ihn an. »Indem ich Schecks ausschreibe. Ich habe nur kein großes Interesse daran. Und um eines klarzustellen: Wer sich in meiner Position am Wochenende ins Kino schleicht, findet sich auf dem Arbeitsamt wieder, ehe er sichs versieht. Disney kommt auf den Titel, Marc, und damit basta.«
Im nächsten Moment surrt plötzlich die Gegensprechanlage. Ich sage Marc, dass ich mich darum kümmern muss, worauf er sich trollt. Er weiß, dass er verloren hat. Diesmal.
Wenn das interne Telefon läutet, kann das nur eines heißen.
Oh, gütiger Himmel, mach, dass es nicht wahr ist … nicht heute. Aber es gibt kein Entrinnen. Der Albtraum wird Realität. Die Assistentin des Vorstandsvorsitzenden zitiert mich nach oben in eine Vorstandssitzung. Zu den Tyrannosauriern. Sofort. Normalerweise geschieht das nicht spontan, und man braucht kein Einstein zu sein, um dahinterzukommen, warum sie sich so kurzfristig versammelt haben.
Die Online-Ausgabe der Post . Etwas anderes kann es nicht sein. Mir ist bekannt, dass sie dem Vorstand ein Dorn im Auge ist. Als ich letztens zufällig Sir Gavin Hume traf, seit Urzeiten unser geschätzter Vorstandsvorsitzender, teilte er mir gütigerweise mit, man müsse sich dringend mit dieser Angelegenheit befassen. Sie koste zu viel und verlöre immer mehr Leser. Das bringt mich in eine unangenehme Lage, weil ich meinen guten Ruf darauf verwettet habe. Also zaubere ich die dicke Akte hervor, die ich zum Thema Online-Ausgabe zusammengestellt habe, und bereite mich innerlich auf das anstehende Verhör vor. Gerade verlasse ich mit klappernden Absätzen mein Büro und will zum Aufzug gehen, um in die oberste Etage zu fahren, als meine Assistentin Rachel mich aufhält.
»Eloise?«, sagt sie und erhebt sich mit entsetzter Miene hinter ihrem Schreibtisch. »Gott sei Dank, dass ich dich noch erwische. Ein Anruf für dich. Es ist dringend.«
Seltsam, denke ich, dass der Anrufer Rachel so erschreckt hat. Und dabei ist es doch immer dringend und ein Notfall, wenn hier das Telefon läutet. Außerdem bewahrt sie immer einen klaren Kopf, so heiß es auch hergehen mag. Das ist nicht nur der Grund, warum ich sie eingestellt habe, sondern auch dafür, dass sie unbeschadet aus all den Stellenkürzungen hervorgegangen ist.
Nur, dass sie mir jetzt mit einer ruckartigen Bewegung den Hörer hinhält und so kreidebleich ist, als hätte sie einen schweren Schock erlitten.
»Glaub mir, diesen Anruf musst du annehmen.«
»Ich bin unterwegs zum Vorstand!« Beinahe hätte ich sie ungeduldig angefaucht, aber ich bitte Sie … Rachel ist doch wirklich schon lange genug hier, um zu wissen, dass man in diesem Fall alles stehen und liegen lässt.
»Tut mir leid, Rachel, aber richte demjenigen, der dran ist, aus, dass er warten muss, bis ich ihn zurückrufe.«
»Eloise, so hör mir doch zu. Bitte reg dich nicht auf … es geht um deine kleine Tochter.«
Kapitel zwei
Und so walzt der Tag des Grauens gnadenlos weiter über mich hinweg.
Inzwischen sitze ich in dem
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