Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Monaten verschlungen hatte. Sie machten das Beobachten seiner Mitmenschen, wozu er hier ausreichend Gelegenheit hatte, für ihn als Zuschauer um einiges interessanter.
»Es geht um Folgendes«, fuhr Eloise Elliot fort. »Ich bin gerade dabei, eine Serie über ehemalige Sträflinge zu konzipieren. Darüber, wie sie nach ihrer Entlassung mit dem Leben draußen zurechtkommen. Und deshalb wollte ich Sie fragen, ob Sie Interesse hätten, daran mitzuwirken. Natürlich hieße das, dass Sie sich in den nächsten Monaten würden begleiten lassen müssen. Wie es bei Ihnen funktioniert. Wie sich die Dinge für Sie entwickeln. Alles wäre anonym, Ihr Name würde nicht in der Zeitung erscheinen. Sie würden uns nur Hintergrundinformationen für unsere … äh … Serie liefern. Mehr nicht. So … äh … was halten Sie davon?«
Zunächst schwieg Jake. Er lehnte sich zurück und betrachtete sie. Hut ab vor diesem Mädchen. Die meisten Leute waren bei ihrem ersten Besuch hier von den Bedingungen mehr als schockiert. Insbesondere die Frauen, die es kaum schafften, Blickkontakt mit einem aufzunehmen, ihr Sprüchlein abspulten und sich so schnell wie möglich aus dem Staub machten.
Aber nicht Miss Eloise Elliot. Sie saß ihm einfach gegenüber und wartete kühl und gefasst auf seine Antwort. Dass sie sich in einem Gefängnis befand und mit einem leibhaftigen Sträfling sprach, schien sie nicht im Mindesten zu berühren. Offenbar war sie nicht nur eine starke Frau, sondern hatte auch ebensolche Nerven.
Zu seinem Erstaunen war Jake beeindruckt.
Allerdings war es ihm immer noch rätselhaft, warum sie hier war. Was konnte die Chefredakteurin einer großen Zeitung wie der Post nur von ihm wollen? Er begriff es nicht. Es ergab einfach keinen Sinn.
»Darf ich Sie Eloise nennen?«, fragte er nach einer Weile und sah sie aufmerksam an.
»Natürlich.«
»Heißt das, Sie bestehen nicht auf ›Frau Chefredakteurin‹ wie auf der Leserbriefseite?«, erwiderte er grinsend.
»Eloise genügt«, meinte sie und schien beeindruckt, dass er nicht nur ihre Zeitung, sondern sogar auch die Leserbriefseite kannte.
»In diesem Fall, Eloise, muss ich Ihnen mitteilen, dass das, was Sie gerade gesagt haben, wie der größte Haufen Pferdescheiße klingt, den man auf einer Rennbahn finden kann.«
»Wie bitte?«
Aha, dachte er. Die Frau war es nicht gewohnt, dass man so mit ihr sprach. Doch andererseits hatte sie ihn hierherholen lassen, was verglichen mit dem Herumsitzen in seiner engen Zelle eine gewaltige Verbesserung war. Und so beschloss er, die Gelegenheit zu nutzen, sich ein bisschen zu amüsieren.
»Also erstens«, begann er lässig und streckte die langen Beine aus, als habe er alle Zeit der Welt, was ja auch den Tatsachen entsprach. »Warum, um alles in der Welt, sollte sich die Post für jemanden wie mich interessieren? Ich lese Ihre Zeitung jeden Tag und kann Ihnen deshalb eines sagen: Ihre Leser kommen hauptsächlich aus der Mittelschicht, habe ich recht?«
Sie nickte. Wieder schien sie beeindruckt, wie intelligent er wirkte.
»Wenn Sie die Chefredakteurin der Daily Sun oder des Star wären, könnte ich Ihre Motive zumindest halbwegs verstehen. Doch Ihr Blatt hat überhaupt keine Berührungspunkte mit einer Boulevardzeitung.«
»Schon … aber … ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen.«
»Eloise, mir ist rätselhaft, warum Sie glauben, dass der durchschnittliche Leser der Post etwas über meinesgleichen wissen wollen könnte. Oder darüber, was draußen aus mir wird. Abgesehen von meiner Mutter kümmert es nicht einmal meine eigene Familie. Weshalb also scheren Sie sich einen Scheißdreck um einen Ex-Knacki auf freiem Fuß?«
»Nun, ich tue es eben«, entgegnete sie mit Nachdruck und erwiderte unverwandt seinen Blick. Offenbar hatte sie mit diesem Einwand gerechnet. »Und ich bin sicher, dass es vielen anderen Menschen auch so gehen wird, Jake. Ich will diese Serie bringen, weil so etwas noch nie versucht worden ist. Und Sie sind genau der richtige Mann für uns. Ich habe den Direktor angerufen und ihn gebeten, mir jemanden zu empfehlen, mit dem ich sprechen könnte, und er meinte, Sie seien bei Weitem der beste Kandidat. Ein mustergültiger Häftling, so hat er Sie genannt.«
Im nächsten Moment zog sie einen Notizblock aus der Tasche und studierte ihre Aufzeichnungen.
»Ach herrje«, stöhnte Jake. »Jetzt sagen Sie nicht, dass Sie sofort anfangen wollen.«
»Schauen Sie nur«, fuhr sie fort, ohne auf ihn zu
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