Der männliche Makel: Roman (German Edition)
ich werde es einmal so ausdrücken. Wenn dieselben Leute hinter Ihnen her wären, die mir in den letzten Jahren an den Kragen wollten, würden Sie sich Mary Smith nennen, ohne Rückfahrkarte nach Neuseeland auswandern und sich hinter einer Staubwolke tarnen.«
Bei diesen Worten grinste sie breit, was ihr ganzes Gesicht weicher und sie selbst um Jahre jünger wirken ließ, wie er unwillkürlich dachte.
»Tut mir leid, aber ich muss Sie das einfach fragen. Warum William Goldsmith?«
»Ganz einfach. She Stoops to Conquer ist eines meiner Lieblingsstücke«, erwiderte er achselzuckend. »Und als ich vor dem Trinity College die Statue des Autors Oliver Goldsmith sah, hat mir die Idee gefallen, Goldsmith als Familiennamen anzunehmen. Dazu William wie William Blake, ein anderer Schriftsteller, den ich sehr mag.«
»Wirklich? Ich auch! Ich habe mich auf dem College sehr mit ihm beschäftigt und meine Abschlussarbeit über ihn geschrieben. Und was ist mit Bill O’Casey? Wo haben Sie das her?«
»Die Leute, mit denen ich mich herumgetrieben habe, haben mich nie William, sondern immer nur Bill oder Billy genannt. O’Casey wie Sean O’Casey. Ich habe damals gerade Shadow of a Gunman gelesen und war begeistert.«
Wieder ein Schmunzeln.
»Aber … James Archer?«
»Nun, das hören Sie jetzt sicher nicht gern. Doch ich habe ziemlich viel von Jeffrey Archer gelesen. Der wird zwar gnadenlos durch den Kakao gezogen, schreibt aber trotzdem ausgesprochen spannend.«
»Gut, und was ist mit Oscar Butler? Moment, lassen Sie mich raten, da war gerade Oscar Wilde dran«, sagte sie spöttisch, doch er bemerkte ihr leichtes Schmunzeln.
Wieder zuckte er die Achseln und nickte.
»Also ist jede Ihrer falschen Identitäten eine Respektsbezeugung gegenüber einem lebenden oder verstorbenen Schriftsteller?«
»So ähnlich«, erwiderte er und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. Obwohl es aussah, als mustere er sie, war er in Gedanken ganz weit weg. Warum interessierte sie das? Weshalb wollte sie das wissen? Und was wurde hier eigentlich gespielt?
Und so ging es immer weiter mit den Fragen, als hätte sie ein bestimmtes Bild von ihm im Kopf, eine Wunschvorstellung, wie er sein und wie er sich verhalten sollte, und sei nun auf der Suche nach Bestätigung. Bei Gott, sie schien ihre Hausaufgaben wirklich gemacht zu haben. Und zwar gründlich. Offenbar war sie besser über ihn im Bilde als seine eigene Mutter.
Allerdings irrte er in diesem Punkt, denn als sie sich gerade zum Gehen anschickte, hatte sie offenbar noch eine drängende Frage auf dem Herzen.
»Also … äh …«, begann sie und legte sich ihre Worte sorgfältig zurecht. »Da wäre noch eine letzte Sache, falls es Sie nicht stört.«
»Schießen Sie los.«
»Nun … ich bin neugierig, welche Pläne Sie für die Zeit nach Ihrer Entlassung haben. Möchten Sie vielleicht Ihr Studium beenden und Ihren Abschluss beruflich nutzen?«
Die Andeutung hing zwischen ihnen in der Luft, und Jake war inzwischen sehr gut darin, zwischen den Zeilen zu lesen.
Wollte er draußen ehrlich werden? Doch das konnte er ihr nicht beantworten. Zu diesem Zeitpunkt wusste er es ja selbst noch nicht.
Kurz darauf verabschiedete sich Ms. Eloise Elliot. Sie schien sehr zufrieden mit sich zu sein, so als hätte alles großartig geklappt.
Auf dem Rückweg in seine Zelle gingen Jake zwei Gedanken im Kopf herum.
Entweder beschäftigte diese Frau ein Heer von Psychiatern. Oder sie führte etwas im Schilde.
Kapitel sechs
Einen Monat später hatte Ms. Eloise Elliot zu Jakes völliger Überraschung Wort gehalten. Niemand mit Ausnahme von ihm selbst war erstaunt, als er die Anhörung vor dem Bewährungsausschuss mit Bravour bestand. Und nach einem Gespräch mit seinem Bewährungshelfer Ben Casey, der ihm sämtliche Unterstützung anbot und im Laufe der Jahre ein Freund für ihn geworden war, war er endlich wieder ein freier Mann.
Er konnte nirgendwo unterkommen als bei seiner Mam, und genau das wollte er nicht. Zumindest noch nicht. Dort konnten sie ihn nämlich zu leicht aufspüren und wieder in Schwierigkeiten bringen. Und diesmal stand für Jake fest, dass es kein Zurück mehr gab, obwohl er wusste, wie beängstigend einfach es war, wieder abzurutschen.
Aber nein. Diesmal nicht. An seinem Entschluss war nicht zu rütteln. Er hatte den höchstmöglichen Preis dafür bezahlt, dass er so dumm gewesen war, auf die falschen Leute hereinzufallen, und dass er die Haft überstanden hatte, sollte nicht
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