Der magische Reif
suchte Sam in all dem Gerumpel nach einem geeigneten Versteck. Einer wütenden Meute gegenüber waren seine Chancen minimal . . . Ohrenbetäubendes Gebell erscholl im Treppenaufgang und Sam sah nur einen Ausweg, auch wenn er damit ein großes Risiko einging: Er konzentrierte sich ganz darauf, die Augen zu schließen und an nichts mehr zu denken, vor allem nicht an den Herzanfall, den er beim letzten Mal erlitten hatte. Er zwang sich, so schnell wie möglich in sein Innerstes zu versinken und seinen Puls dem langgezogenen Rhythmus des Steins anzupassen. Glücklicherweise hatte er dieses Mal keine Schmerzen in der Brust und spürte, wie sein Herzschlag ihm gehorchte. Er ballte die Fäuste, um seine ganze Willenskraft zur Beschleunigung des Prozesses einzusetzen. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass sein Körper sich ganz dem Pulsieren der Zeit überließ. Er hatte es geschafft . . .
Sam öffnete die Augen: Ein schwaches grünliches Licht schien den Keller einzuhüllen. Weniger als einen Meter von ihm entfernt hockte eine riesige Dogge mit gefletschten Zähnen und angewinkelten Hinterläufen, als wollte sie gleich zum Sprung ansetzen. Hinter ihr schienen vier weitere, beinahe ebenso große Hunde kurz vor den letzten Stufen in ihrer Bewegung eingefroren. Der eine schwebte sogar noch im gestreckten Lauf in der Luft und wollte gerade in unvorstellbar langsamem Zeitlupentempo auf dem Boden aufsetzen.
Samuel zögerte nicht einen Augenblick: Er stürzte die Treppe hinauf- wobei er darauf achtete, den Bestien nicht zu nahe zu kommen – und stand im nächsten Augenblick in dem Flur, der zur Küche führte. Überall stank es wie in einem Pumakäfig, einem, der schon lange nicht mehr ausgemistet worden war . . . Sam bog Richtung Wohnzimmer ab und prallte direkt mit der liebreizenden Martha Calloway zusammen. Sie war in einen langen kunterbunten Bademantel gehüllt und hielt ein doppelläufiges Gewehr im Anschlag, offenbar wild entschlossen, dem Eindringling, der sich in ihren Keller gewagt hatte, den Garaus zu machen. Mit grimmigem Blick starrte sie ihm entgegen. Die Haut an Kinn und Wangen hing in schlaffen Falten herunter; ein Stirnband teilte ihr wirres Haar in zwei gleiche Büschel, die an Hängeohren erinnerten; die Oberlippe war zu einem lautlosen Knurren verzerrt... Sie hatte eine frappierende Ähnlichkeit mit ihren Hunden!
Sam drängte sich an ihr vorbei und schubste sie gegen einen Sessel, während er sich beglückwünschte, dass sie ihn nicht beißen konnte. Er rannte weiter bis zur Haustür, drehte den Schlüssel um und steckte den Schlüsselbund in die Tasche. Draußen war der kleine Vorgarten in einen Hochsicherheitstrakt für Wachhunde umfunktioniert worden: Die niedrige Mauer mit dem Eisenzaun, die das Gelände umschloss, war durch ein drei Meter hohes Gitter verstärkt worden. Eine ganze Reihe Fressnäpfe waren an einer Seite daran festgekettet. Ein knappes Dutzend Hundehütten mit spitzen Dächern vervollständigten noch das Bild eines Gefangenenlagers. In der Zufahrt wachten drei weitere Hunde der gleichen Rasse, ebenfalls mit gebleckten Zähnen und offensichtlich ziemlich ausgehungert.
Sam ging weiter zur Pforte, die auf die Straße führte. Natürlich war sie ebenfalls verschlossen, doch er brauchte nicht lange, um den richtigen Schlüssel zu finden. Um seine Verfolger aufzuhalten, schloss er das Tor hinter sich wieder ab und bewunderte dabei den mächtigen Schlüsselring in Form einer Dogge, auf dem Name und Adresse der Besitzerin eingraviert waren: Martha Calloway, Barnboim Straße 27, Saint Mary. Kein Zweifel! Sollte er den Druck auf sein Herz jetzt schon lösen? Er wusste, dass er nur über eine begrenzte Zeit verfügte. Vier oder fünf Minuten, wenn er den vorangehenden Erfahrungen trauen konnte. Und auch nur, wenn sein Herz so lange aushielt. Außerdem könnte seine Fähigkeit, die Zeit anzuhalten, die entscheidende Trumpf karte sein, wenn es zu einer Konfrontation mit Rudolf käme . . . Sollte er wirklich seine mageren Reserven jetzt schon aufzehren? Andererseits, wenn Martha Calloways Hunde ihn schnappten oder wenn er nicht schnell genug nach Bel Air käme, würde er nie die Gelegenheit haben, mit Rudolf zusammenzutreffen! Abgesehen davon, dass er eine Aufgabe zu erledigen hatte, bei der er auf keinen Fall gesehen werden durfte ...
Sam lief los, wobei er darauf achtete, dass er mit dem langsamen Pulsieren des Steins synchron blieb. Er kam am Haus der Bombardiers vorbei, dann bei den Fosters, bis
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