Der magische Stein
zitterte sie zwar, doch sie brach nicht zusammen.
»Und?«
Isa nickte. »Es geht, denke ich.«
»Das ist gut. Dann können wir...«
»Nein, Carlotta, nicht. Wir können nicht. Noch nicht. Mal abgesehen davon, ob es Sinn hat.«
»Wie meinst du das?«
»Ich möchte dir etwas zeigen. Bisher ist für dich alles nur Theorie gewesen, aber das soll sich ändern, finde ich. Du wirst sehen, dass ich mich nicht geirrt habe.«
Carlotta sah, dass es Isa Ernst war. Deshalb stimmte sie auch zu. »Okay, dann lass uns mal schauen.« Sie blieb dicht bei ihrer Verbündeten, als die ihre ersten Schritte tat.
Unsicher ging sie, aber sie brauchte das Laufen ja nicht erst zu lernen. Bereits nach wenigen Schritten ging sie wieder normal. Zudem bot die Lichtung dank ihrer Größe genügend Platz, um sich einigermaßen bewegen zu können.
»Was willst du mir denn zeigen?«, fragte Carlotta.
»Warte es ab.«
»Okay.«
Isa ging so, als wollte sie in den nächsten Sekunden die Lichtung verlassen. Kurz vor dem mit Unterholz gefüllten Rand blieb sie stehen und deutete auf etwas, das beinahe so aussah wie eine Pyramide, die aber leicht in sich zusammengefallen war.
Bei besseren Lichtverhältnissen hätte Carlotta sicherlich schnell Bescheid gewusst. So aber wusste sie nicht, was dieser Hügel genau bedeutete, und sie hob die Schultern.
»Ich werde es dir zeigen«, sagte Isa mit leiser Stimme. Sie hielt sich an Carlotta fest, als sie sich bückte und mit der freien Hand in dieses seltsame Gebilde hineingriff. Es geriet dabei in Bewegung. Carlotta glaubte, ein Klappern zu hören.
Isa zog einen Gegenstand hervor. Sie hielt ihn Carlotta hin. Die brauchte keine Erklärung, um zu wissen, was ihr da gezeigt wurde. Sie verstand genug von Anatomie.
»Das ist ein Schulterknochen«, flüsterte sie.
»Sehr richtig, Carlotta. Er stammt von einer meiner Freundinnen...«
Das Vogelmädchen sagte nichts. Die Überraschung hatte ihm die Sprache verschlagen.
»Habe ich Recht?«, fragte Isa nach einer Weile.
Carlotta konnte nicht dagegen sprechen. »Ich denke schon. Wir müssen uns wohl an die neuen Verhältnisse gewöhnen.« Danach erhob sie die Stimme. »Ich werde mich aber nicht damit abfinden!«
Isa konnte nur staunen. »Woher nimmst du nur deinen Mut?« Es war nicht mehr als ein Flüstern.
Auf Carlotta’s Lippen zeigte sich ein schwaches Lächeln. »Kann daran liegen, dass ich nicht normal aufgewachsen bin. Welcher Mensch besitzt schon Flügel?«
»Ja«, erklärte Isa staunend. »Da stimme ich voll und ganz zu. Weißt du, was ich auch schon mal gedacht habe?«
»Nein, wie sollte ich?«
»Dass du vielleicht ein Engel bist. Engel haben doch Flügel. Oder irre ich mich da?«
Es gab hier nichts zu lachen, aber Carlotta lachte trotzdem – laut und schallend. »Nein, ein Engel bin ich nicht, und ich werde wohl auch nie einer werden. Ich bin ein Mensch wie du. Nur eben, dass ich eine genetische Veränderung hinter mir habe. Das ist alles. Daran kann man sich gewöhnen, auch wenn es nicht ganz einfach ist.«
»Ja, das kann ich mir denken«, lautete die leise gesprochene Antwort. »Was sagen denn die anderen Menschen dazu?«
»Welche anderen?«
Isa versteifte ein wenig. Auf ihrer Stirn zeigten sich schmale Falten. »Man muss dich doch sehen. Man wird...«
Carlotta schüttelte den Kopf und brachte Isa so zum Schweigen. »Nein, es gibt nur sehr wenige Menschen, die mich kennen. Und denen kann ich voll und ganz vertrauen. Du bist eine große Ausnahme. Ich hoffe, dass du alles für dich behältst, wenn wir Aibon verlassen haben und wieder in unserer normalen Umgebung sind.«
»Ha, wenn...«
»Glaubst du nicht daran?«
Isa warf den Knochen wieder zu den anderen. »Nein, nicht ehrlich. Ich sehe bereits mein Ende vor mir, aber ich möchte so lange leben wie eben möglich.«
»Sehr gut. Das ist immerhin etwas. Genau das sollten wir auch in die Hände nehmen.«
»Wie denn?«
»Indem wir von hier verschwinden«, sagte Carlotta entschlossen. »Ganz einfach.«
»Und wohin?«
»In unsere Welt, denn nur da gehören wir hin.«
Isa sagte nichts. Sie senkte den Kopf, dann schüttelte sie ihn und flüsterte: »Wenn das mal so einfach wäre. Aber das ist es nicht – bei allem, was ich weiß.«
Carlotta wollte dagegensprechen, aber sie hielt den Mund und schluckte ihre Worte herunter. Dann trat sie einen Schritt zurück und nahm eine gespannte Haltung an, als sie stehen blieb. Zudem drehte sie ihren Kopf in verschiedene Richtungen.
»Was hast
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