Der magische Wald
schillernde, vibrierende Welt werfen. Sie ließen sich jetzt Zeit, gingen auf die Jagd und verwöhnten sich mit frischem Fleisch. Die Pferde machten sich über das saftige Gras her und tranken aus den Bächen. Wenn ihnen abends die Sättel abgenommen wurden, wälzten sie sich im feuchten Gras, rieben sich den frischen Duft in die Felle und streiften den Schlamm und Moder des Wolfwaldes ab. Doch dann wären sie fast alle getötet worden: Ein Wolfsrudel überraschte sie, als sie sich morgens Fleisch warm machten: acht schlanke Bestien mit eitergelben Augen und schwarzen Schnauzen. Während Michael mit den Pferden kämpfte, streckte Cat zwei der Angreifer mit ihren letzten Pfeilen nieder und schlitzte einen dritten mit einem Messer auf, das sie in Nennians Hütte gefunden hatte. Ein anderer Wolf packte den grauen Wallach am Hinterlauf, wurde aber von einem Tritt fortgeschleudert. Michael erledigte einen weiteren Wolf, der Fancy angreifen wollte, aber als das Tier zu Boden fiel, zog es das Ulfberht mit sich und riß es ihm aus der Hand. Der nächste Wolf sprang ihn an, doch Cat stürzte sich mitten im Sprung auf die Bestie und riß sie zu Boden. Beide wälzten sich knurrend auf der Erde; als der Tumult erstarb, stand sie auf, den Unterarm bis zum Ellbogen voller Blut.
Der Rest des Rudels floh. Danach wurden sie vorsichtiger, dachten erst jetzt daran, daß auch der Wildwald seine Schrecken hatte. Sie sehnten sich nach dem Anblick menschlicher Gesichter, anderen Stimmen als ihren eigenen. Sie mußten nicht lange warten. Drei Tage nachdem sie die Gegend erreicht hatten, die Michael als den normalen Wald bezeichnete, kamen sie zu einem breiten Pfad, der von Süden nach Norden führte. Sie folgten ihm (es war eine Erleichterung, reiten zu können ohne sich ständig wegender überhängenden Äste zu ducken oder am Boden liegende Baumstämme übersteigen zu müssen). Bald erblickten sie frisch gerodete Lichtungen und verlassene Unterschlüpfe aus Ästen im Wald. Schließlich kamen sie zu einem kleinen Dorf, das etwas abseits der Straße auf einer kleinen Lichtung lag. Sie rochen Rauch und hörten das fröhliche Lachen von Kindern. »Zivilisation«, sagte Cat. Die Kinder erschienen plötzlich zwischen den Bäumen — drei kleine Kerlchen in zerlumpter Kleidung. Sie blieben wie angewurzelt stehen, als sie die beiden berittenen Fremdlinge erblickten, und rannten dann davon, schrien in der Waldsprache: »Fiesyran, fiesyran!« Das Wort konnte entweder Fremde oder Feinde bedeuten. Im Wildwald machte das keinen großen Unterschied. »Sehen wir so furchterregend aus?« »Hast du dich in letzter Zeit mal im Spiegel gesehen, Liebling? Du siehst aus wie ein graubärtiger Mörder.« Er dachte, daß Cat scherzte, aber ihr Gesicht blieb ernst, als sie es sagte. Grau, dachte er. Ich bin grau geworden. Er nahm selbst an, daß sie furchterregend wirkten. Schon weil sie beritten waren. Außer den Rittern besaß kaum jemand ein Pferd. Und bewaffnet. Außerdem waren sie mit Wunden, übersät, hatten wilde Blicke und schmutzige Gesichter. Ihre Kleider waren blutbefleckt und zerrissen, schwarz vor Morast und tausendmal geflickt. Sie hatten sich angewöhnt, kurze Umhänge aus Hirschleder zu tragen, die haarige Seite nach außen, um den Regen abzuwehren. An ihren Sattelknäufen hingen große Stücke Räucherfleisch, die provisorisch in eine von Bruder Nennians Ersatzkutten eingewickelt waren. Cats Schönheit war hinter einer Maske aus Schmutz und wirrem Haar versteckt. Es war schwer zu sagen, ob sie überhaupt eine Frau war, denn sie war schlank wie ein großer Junge; die lange Klinge von Bruder Nennians Bronzemesser schimmerte gefährlich an ihrer Hüfte. Männer, die Werkzeuge in den Händen hielten, eilten aus dem Wald. Ein halbes Dutzend, dann zehn, schließlich fünfzehn sie versammelten sich zu einer schweigenden Menge, die Kinder und ein paar Frauen hinter sich. Michael fühlte sich müde. »Fax vobiscum», sagte er. Sie wirkten überrascht von dieser Begrüßung und begannen miteinander zu flüstern. Das Ulfberht zog viele Blicke auf sich. Schließlich trat einer der Männer vor. Er sah genauso barbarisch aus wie die anderen. Er trug Kleidung aus Hirschleder und grober Wolle, aber sein Schädel war kahl. »Et cum spirito tuo.« . Der Name des Bruders war Dyrnius, und er hieß sie trotz der Bedenken der übrigen Dorfbewohner willkommen. Sie blieben für drei Tage, gönnten sich und den Pferden eine Verschnaufpause. Cat verursachte eine kleine
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