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Der magische Wald

Titel: Der magische Wald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Kaerney
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Schatten der Bäume. Michael bezweifelte, daß sie in der letzten Stunde mehr als eine Meile zurückgelegt hatten. »Wie weit noch?«

    »Ich kann es dir nicht in Metern sagen«, sagte Cat kurzangebunden. Sie wischte sich den Regen aus den Augen. »Heute schaffen wir es nicht mehr.« Noch eine Nacht im Wald. Und Michael war jetzt schon durch und durch naß. Er fluchte, und dabei fiel seine Stimme krächzend in eine tiefere Tonart. Sie waren beide verwirrt. Dann fing Cat an zu lachen. »Ich hoffe, deine wunderbaren Streichhölzer sind trocken geblieben, mein Geliebter, sonst wird es eine unerfreuliche Nacht.« Sie zog ihn an sich heran und neckte seine Lippen wie eine Biene eine Fingerhutblüte. Ihr Gesicht war kalt, und Regen sammelte sich in den Einbuchtungen über ihren Schlüsselbeinen und rann zwischen ihren Brüsten hindurch. Er küßte die Tropfen fort und fuhr mit der Zunge über die steinharte Brustwarze unter dem Umhang. Dann hob sie zärtlich seinen Kopf. »Dafür haben wir später genug Zeit. Jetzt brauchen wir einen Unterschlupf und ein Feuer.« »Wir schlafen also heute nacht nicht auf einem Baum?« »Wir werden es auf dem Boden riskieren. Wir brauchen das Feuer, es wird die Bestien fernhalten.« Er brauchte sehr lange. Um ihn herum prasselte der Regen in den dunklen Wald. Er hatte seinen Mantel über eine kleine Pyramide aus Zweigen gelegt und zitterte vor Kälte so sehr, daß es ihm kaum gelang, ein Streichholz zu entzünden. Er verbrauchte eins der feuchten Zündhölzer nach dem anderen, bis schließlich eines zündete, und er vorsichtig das trockengeriebene Moos in Brand setzten konnte, das ihnen als Zunder diente. Rauch stieg ihm in die Haare und brannte ihm in den Augen. Aber sie hatten Feuer.

    Cat hatte einen Unterschlupf errichtet, einGerüst aus Ästen, das sie mit Laub bedeckt und mit Schlamm abgedichtet hatte. Die Hütte sah aus wie ein behaarter Maulwurfshügel und stand so nah am Feuer, daß der Rauch hineindrang, aber sie drängten sich darin aneinander und aßen das kalte Schweinefleisch, das grau war von geronnenem Fett. Dann legten sie Holz auf das Feuer, bis die Flammen einen Meter hoch schlugen, und saugten die Wärme in sich auf. Sie liebten sich in der feuchten Hütte im qualmverhangenen Licht des Feuers, und diesmal gruben sich Cats Finger wie Schraubstöcke in seine Schultern, und sie schrie so laut in den Regen und in das Rauschen der Bäume, daß er innehielt, aus Angst, sie verletzt zu haben. Aber sie drängte ihn fortzufahren, nicht aufzuhören, und sein Höhepunkt war wie eine heftige, blutrote Explosion in seinem Kopf, eine Meereswoge, die über ihnen zusammenschlug. Ihr Körper entspannte sich unter ihm, und sie küßte seine Augen, murmelte Worte in einer Sprache, die er nicht verstand. In seiner Nase war der Geruch von Pfefferminz und Schlamm, von Holzrauch und Sex. Für alle Zeit würde er die körperliche Liebe mit diesen Gerüchen in Verbindung bringen, und mit dem Geräusch der wind-und regengepeitschten Äste. Und es würde dann eine andere Zeit geben oder gegeben haben, in der diese Gerüche ein Teil seines Lebens waren, und die Tiefen des Waldes die einzige Welt waren, die er kannte.

    An einem Morgen dieser anderen Zeit lag Schnee auf den Hügeln, und das Leder ihrer Tasche war starr vor Frost. Es war, alssei auch dasLeben desWaldesbei Tagesbeginn in einem Schwebezustand, schläfrig und steif vor Kälte. Sie waren hier nahe am Rand, näherten sich dem Ende des Waldes und dem offenen Land, hinter dem eine Lücke in dieser Welt war, die den Rückweg durch die Höhle freigab, aus der sie vor so lange Zeit, wie es schien, aufgetaucht waren. Trotz seiner bleiernen Müdigkeit waren Michaels Sinne angespannt. Sie hatten keinen langen Weg mehr vor sich. Es wäre sinnlos, sich so kurz vor dem Ziel noch erwischen zu lassen. Am späten Nächmittag löste sich ein Schatten aus den Bäumen, und Ringbone stand vor ihnen, wie er es versprochen hatte. Der durchdringende Geruch, der von ihm ausging, ließ die Pferde schnauben. Die langen Ohren von Cats Maultier zuckten. »Ca spel, ycempa?« fragte Michael ihn. Spel wardas Wort fürNachrichten,ein angelsächsisches Wort, aber Michael hatte schon lange den Versuch aufgegeben, die Sprache der Waldvölker zu klassifizieren. Altgälisch, gemischt mit Sächsisch und Norwegisch. Dazwischen vulgärlateinische Einsprengsel. Die Sprache löste irgendeine undeutliche Erinnerung aus. Alte Worte, deren Bedeutung ihm im Unterbewußtsein bekannt

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