Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
sie auf den Boden und umarmte sie. »Du hast es selbst gesagt: Immer wurde plötzlich doch noch alles gut, wenn du in einer richtig prekären Lage warst. Du warst und bist sein Leben, Karianne. Wenn du gestorben wärst, wäre er mit dir gestorben. Du warst die Mission seines Lebens, eine Aufgabe, die bis heute anhält.«
»Hörst du eigentlich, was du da sagst, Niklas? Das ist doch völlig verrückt. Linea war in meinem Alter. Er hätte ihr niemals etwas antun können.«
»Ich glaube auch nicht, dass er das gern getan hat. Aber dein Leben stand auf dem Spiel.«
»Was willst du damit andeuten?« Sie nahm sein Gesicht zwischen die Hände und starrte ihn mit tränennassen Augen an. Er legte die Hand vorsichtig auf ihren Bauch. »Ich glaube, es ging um das, was da in dir starb, um eine Wartezeit, die für einen liebenden Vater die reinste Folter gewesen sein muss. Und als du endlich die Erste auf der Warteliste warst … passierte einfach nichts. Du warst die Nächste, aber es wollte kein Organspender auftauchen.«
»Niklas.«
»Ich glaube … ich glaube es. Aber ich brauche deine Hilfe, Karianne.«
Sie schüttelte den Kopf. »So etwas hätte er niemals tun können.«
»Dann könnte deine Hilfe ihn freisprechen.«
»Aber was für einen konkreten Verdacht hast du denn nun überhaupt? Und warum Ellen Steen und warum …«
»Pschhhht.« Er hielt einen Finger an die Lippen. »Du sollst alles erfahren, Karianne, aber ich befürchte, es eilt.«
»Es eilt?«
»Du hast mir doch von diesem Jungen erzählt, der sich das Bein brach und das Interesse verlor.«
»Herrgott, Niklas, wir waren doch nur ein bisschen verschossen.«
»Wie hieß er?«
»Du bist auf der falschen Fährte, Niklas. Teilen die anderen denn deine Theorie?« Das folgende Schweigen blamierte ihn bis auf die Knochen.
»Das hast du allein ausgebrütet, stimmt’s? Diesen kranken Gedanken, dass Papas Opferbereitschaft ihn verrückt gemacht hat. Die Theorie ist einfach so wild, dass du sie nicht mal deinen Kollegen unterbreiten wolltest, stimmt’s?«
»Wegen dir, Karianne.«
»Verdammt, das war nicht wegen mir!« Sie trommelte ihm mit den Fäusten gegen die Brust. »Das war nicht wegen mir!«, wiederholte sie.
»Wie hieß er?«
»Oskar.« Sie vergrub das Gesicht in den Händen und weinte.
»Oskar wie?«
»Niklas, ich erkenn dich überhaupt nicht wieder, ich erkenne den Mann nicht mehr, den ich liebe.«
»Bitte, Karianne.«
»Nilssen. Mit zwei S. Bist du jetzt zufrieden?«
»Wo wohnt er?«
»Was hast du vor? Willst du zu ihm fahren und ihn fragen, ob er für eine fünfundzwanzig Jahre alte Liebe rücksichtslos gemordet hat?«
»Nein, das will ich nicht. Versprochen.«
»Das ist doch Irrsinn. Du musst die anderen auf dem Revier informieren, auch wenn du meinst, dass du mich beschützen musst.«
»Wo, Karianne?«
»In Rishamn, einem Nachbardorf. Eine Dreiviertelstunde mit dem Auto.«
Er hatte Oskar Nilssen angerufen und sich mit ihm im Café vor Ort verabredet. Nilssen war nicht nur verdutzt über die Anfrage, er war sogar richtiggehend abweisend, doch er ließ sich überzeugen, als er erfuhr, dass die Alternative ein Hausbesuch von einem Polizisten war.
Es war schon nach acht Uhr abends, und abgesehen von ein paar abgerissenen Kerlen, die offenbar nur flüssige Nahrung zu sich nahmen, war das Lokal leer. Niklas bestellte sich einen Kaffee und wartete. Nilssen hatte sich bereit erklärt, eine Viertelstunde zu opfern, aber zugleich mitgeteilt, dass er erst nach acht Uhr Zeit hatte. Es war Viertel nach, als er eintraf. Obwohl Niklas keine Beschreibung von ihm bekommen hatte, ließen der flackernde Blick und der Ausdruck von Unwohlsein keinen Zweifel. Niklas hob die Hand und zeigte auf den Stuhl gegenüber. Nilssen nickte wortlos zum Gruß und setzte sich. »Das ist total surrealistisch«, sagte er und faltete die Hände auf dem Tisch. »Eine Vierzehnjährige, in die ich vor einem halben Leben mal verliebt war. Graben Sie immer so tief bei Ihren Ermittlungen?«
Niklas hatte ihm erzählt, dass es um Karianne Sund ging. »Ich möchte noch einmal betonen, dass Sie unter keinerlei Verdacht stehen. Ich brauche nur Ihre Hilfe, um ein paar Dinge richtig einzuordnen.«
Nilssen warf einen Blick auf die anderen Männer im Lokal und schien erleichtert, dass kein Bekannter darunter war.
»Ich weiß, dass Sie sie sehr mochten, aber darüber will ich gar nicht mit Ihnen reden. Es geht vielmehr um Ihren Unfall.«
Nilssen musterte ihn skeptisch. »Ich hab
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