Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
lächelnd entgegennahm und ihre Scherze schlagfertig parierte. Er gab vor, Berufserfahrung zu haben, und wurde probeweise angestellt, und als sie mit dem Serviertablett daherkam, grüßte er sie mit dem Fischmesser. Kaffee und Tassen polterten auf den Betonboden, als ihr klar wurde, dass er ihr gefolgt war, und in diesem Moment erlosch etwas in ihr, verwelkte wie das Gras im Spätherbst. Ihr Lächeln wurde seltener und verhaltener, und die Witzeleien der Arbeiter blieben unerwidert, als würde sie sie plötzlich nicht mehr lustig finden. Andrea war wieder schüchtern und unsicher und verfiel in ihre alte Rolle als Edmunds kleines Spielzeug, obwohl diesem Spiel immer mehr Zwang innewohnte, ein Spiel, das fünf Wochen später seinen Höhepunkt fand, als sie auf frischer Tat in einem Büro ertappt wurden. Man kündigte beiden fristlos, und sie hätte schwören mögen, dass Edmund in diesem Moment ein zufriedenes Lächeln unterdrückte. Vier Wochen später merkte sie, dass sie schwanger war. Und dass ihr Leben in seinen Händen lag.
Sie gebar drei Kinder in fünf Jahren, und sie machte es zu ihrer Lebensaufgabe, sie zu beschützen und mit Liebe zu überschütten. Doch vor allem glich sie aus, dass der Vater seinen Kindern niemals Interesse entgegenbrachte und sie für ihn eher eine Bedrohung für ihre ohnehin schwierige wirtschaftliche Lage waren. Sie hingegen trug in ihrem Herzen immer noch eine traurige Sehnsucht nach dem Kind, das sie hatte weggeben müssen, das Kind, das Edmund vom ersten Tage an gehasst und ausgeschlossen und als Hurenkind bezeichnet hatte.
Edmunds Dämonen wuchsen im Laufe der Jahre, und er musste sich immer wieder nach einer neuen Arbeit umsehen, weil er seinen Zorn gerne an Arbeitgebern und Kollegen ausließ. Die Zeiten, in denen er arbeitslos war, waren eine Prüfung für alle, nicht nur weil das Geld nicht reichte, sondern auch weil Edmund zu Hause wie eine tickende Bombe war, kalt und kontrollierend. Doch Andrea wusste sich anzupassen und wich geschickt allem aus, was zu einem Konflikt führen könnte. Bis zu dem Tag, an dem es kein Essen mehr im Haus gab. Edmund war nicht die Art Mensch, der seine Fehler zugibt. Stattdessen ging er ihr an die Kehle und ließ keinen Zweifel daran, dass sie für diese Notlage verantwortlich war. Er gab ihr eine Stunde, um Essen auf den Tisch zu bringen.
Sie schaffte es nicht innerhalb einer Stunde, aber schließlich erfüllte der Geruch von Essen die Küche, und er zeigte eine seltene Regung, so etwas wie Reue, denn er sagte nichts. Stattdessen begann er mit dem ältesten Kind zu reden, Heidi, die ihm stotternd einsilbige Antworten gab. Andrea war zu ihrer nächsten Nachbarin gelaufen, um beschämt um die Zutaten für eine einfache Mahlzeit zu bitten. Die Nachbarsfrau hatte schon immer gewusst, wie es um Andreas häusliche Umstände bestellt war, und sie gab ihr Essen für mehrere Tage mit. Sie aßen schweigend. Besser gesagt, Edmund aß, die anderen stocherten in ihren bescheidenen Portionen, während sie die Blicke kaum von ihren Tellern zu heben wagten. Abends glaubte er, eine Belohnung für seine Leistung zu verdienen, und war brutaler denn je zu ihr.
Danach sorgte Andrea dafür, dass Edmund immer einen gedeckten Tisch vorfand, und Heidi war ihr eine große Hilfe, indem sie am Fenster Ausschau nach dem grauen VW -Bus hielt. Es war unklar, ob es an diesem außergewöhnlichen Timing lag, dass ihm der Verdacht kam, etwas könnte nicht ganz stimmen, oder ob es daran lag, dass Andrea glücklicher als je zuvor wirkte. Doch plötzlich stand er eines Tages mitten am Vormittag in der Tür, nur um zu entdecken, dass das perlende Lachen, das er auf der Treppe gehört hatte, seiner Frau gehörte, die mit der zehn Jahre älteren Nachbarsfrau kicherte wie ein junges Mädchen. Er murmelte etwas von einem vergessenen Messer und wandte sich wieder zum Gehen. Als er ein paar Stunden später heimkam, konnte er ihr mitteilen, dass er gekündigt hatte und außerdem vorhabe, Haus und Dorf zu verlassen, bevor in drei Tagen die Miete fällig wurde. Sie sah die neugewonnene Freundschaft so schnell verschwinden, wie sie entstanden war, und versuchte, ihm zu widersprechen. Er starrte sie aufrichtig verwundert an. Wahrscheinlich fiel es ihm schwer zu begreifen, dass sie zu so etwas wie Widerstand fähig war. Dann holte er ein paar leere Kartons, die er demonstrativ auf den Küchenboden stellte.
Edmund wollte in den Norden, und sie versuchte, ihre Niederlage in einen Sieg zu
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