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Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Der Mahlstrom: Roman (German Edition)

Titel: Der Mahlstrom: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frode Granhus
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dauerte drei Monate, bis Edmund auch noch vom vierten Fischereibetrieb gefeuert und in sämtlichen anderen Betrieben für unerwünscht erklärt worden war. Da kehrte die Not wieder bei ihnen ein. Da sie aus Schaden klug geworden war, schnitt sie die Brotscheiben dünner, halbierte den Aufschnitt und meinte, sie würde es schon aushalten, wenn sie ein paar Kilo verlor. In den nächsten Monaten lebten die Kinder und sie gefährlich nah an der Grenze zum Verhungern. Nach einer Woche verdrossenen Schweigens warf Edmund ihr eines Tages zwei blutige Hasen
auf den Tisch. »Zieh ihnen das Fell ab und brat sie«, befahl er und verschwand wieder. Während sie die Tiere häutete, liefen ihr die Tränen über die Wangen. Mit abgewandtem Blick und hysterischem Weinen hackte sie ihnen die Köpfe ab. Heidi kam herbeigelaufen und starrte ihre Mutter an, die zitternd und blutverschmiert mit dem Messer in der Hand dastand. »Mama blutet«, sagte sie, bevor ihr Blick auf die abgeschnittenen Köpfe fiel und sie selbst anfing zu heulen. Und so heulten sie im Chor, bis Andrea sich neben sie kniete und sie in die Arme nahm. So weinten sie zusammen. Über zwei tote Tiere und das Leben, das sie lebten.
    Nach einer Weile beschloss Edmund, der Seekrankheit zu trotzen, und mietete sich ein altes Ruderboot. Mit seinem Fang ging er von Tür zu Tür und bot neben seinen Fischen auch Wild an, das er erlegt hatte. Manchmal wachte sie nachts auf, weil sie den verzweifelten Todeskampf eines Tieres vernahm, ein herzzerreißendes Geheul, das sie auch noch hörte, wenn sie sich das Kissen über den Kopf zog. Die ersten Monate zwangen sie fast in die Knie – die Schlaflosigkeit, die versteinerten Blicke, das Schlachten und Häuten. Doch schließlich glitt sie in einen gleichgültigen Dämmer, schnitt Tierköpfe ab, als hätte sie nie etwas anderes getan, ohne Gefühl und ohne Widerstand. Es hielt sie am Leben, wenn auch nur so gerade eben.
    Das Klingeln von Niklas’ Handy unterbrach Lilly Maries Geschichte. Es war Lind. »Wir sind hier gerade über die Fortsetzung gestolpert«, sagte er.

17
Bodø
    Rino handelte ganz instinktiv und kroch rasch zurück hinter die Säge, während er sich auf das große Geschrei gefasst machte. Zu seiner Überraschung erreichte er sein Versteck, ohne etwas anderes zu hören als das Hämmern seines eigenen Herzens. An der Wand und an der Decke sah er einen Streifen des durch den geöffneten Türspalt einfallenden Lichts, und er hörte die Stimmen jetzt deutlicher. Dann wurde die Tür wieder geschlossen, und bald erfüllte der Geruch von Zigarettenrauch den Raum. Er hörte Schritte näher kommen, riskierte es aber nicht, noch weiter unter die Maschine zu kriechen. Er spürte sie jetzt, sie war so nahe, dass er sie hätte berühren können. Sie war stehen geblieben, und er nahm an, dass sie sich gegen die Maschine lehnte. Der Rauch legte sich wie feuchte Luft über nachtstilles Wasser, soweit man ihn im mageren Schein des einzigen Fensters erkennen konnte.
    »Verdammt!« Ein leiser Fluch zwischen zusammengebissenen Zähnen.
    An der Art, wie sie rauchte, hektisch inhalierte und den Rauch hastig wieder ausstieß, hörte er, dass sie aufgeregt war. Das Geräusch einer Sohle, die über den Betonboden scharrte. Sie trat die Zigarette aus. Nach einem weiteren Fluch ging sie wieder zu den anderen zurück. Die Kälte des Stahls war ihm unter die Kleider gekrochen. Er versuchte, ganz rational zu denken. Wenn noch mehrere von ihnen rauchen würden, wären sie höchstwahrscheinlich zusammen rausgegangen. Raucher sind soziale Wesen. Und wenn sie es zwanzig Minuten ohne Zigarette ausgehalten hatte, schaffte sie es bestimmt noch einmal genauso lang, bis sie die nächste brauchte. Also wagte er sich wieder zur Tür vor.
    »Du kannst doch unmöglich diese Demütigungen entschuldigen, die sie uns zugefügt haben.« Das war wieder die mit der nasalen Stimme. »Ich wäre bestens ohne dieses Erlebnis klargekommen. Ich habe mich noch nie so klein gefühlt wie damals, als ich mit Tuva auf dem Schoß im Wartezimmer saß. Er war auf See, verdiente fünfhunderttausend im Jahr, ging in jedem Hafen an Land, vögelte herum und warf mit den Tausendern um sich. Und ich saß da mit seiner Tochter, in Kleidern, aus denen sie schon längst herausgewachsen war, und musste um unser Essen betteln. Verdammt, was ich den Kerl gehasst habe. Damals hätte ich keine müde Träne vergossen, wenn irgendjemand ihm einen Arm abgeschnitten hätte, no way.«
    »Und

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