Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
Kurven zu schlagen. Hier war also der Kerl aufgewachsen, der eine Ausbildung in der Kinderfürsorge gemacht hatte, aber lieber als Kinderrächer unterwegs war. Denn für Rino gab es keinen Zweifel mehr, obwohl er nach seinem Alleingang vom Wochenende gebeten worden war, doch erst mal ein paar Gleittage zu nehmen. Vor allem als er von seinem Besuch bei Even Haarstad hörte, hatte der Lensmann rot gesehen. Mit der Beschattung der Frauen und dem Einbruch in die Schreinerei konnte man leben, aber nicht mit etwas, was der Lensmann als persönlichen Angriff betrachtete, und das auch noch basierend auf hauchdünnen Indizien.
Sie hatten sich auf drei Tage Gleitzeit geeinigt. Streng genommen hätte er diese Zeit mit Joakim verbringen sollen oder zumindest einmal mit der Schule sprechen können, um zu hören, wie schwerwiegend die Konzentrationsprobleme eigentlich waren – doch nachdem er herausgefunden hatte, wer hinter den Verbrechen steckte, wollte er auch wissen, warum. Darum hatte er sich für Bergland statt für Joakim entschieden.
Er stillte seinen größten Hunger mit einer schlaffen Grillwurst an einer heruntergekommenen Shell-Tankstelle, bevor er in das Büro des hiesigen Lensmanns ging, wo ihn ein älterer Polizist in Empfang nahm. Der Mann stellte sich als Norvald Bøe vor, und seine Stimme kündete von einem aktiven Beitrag zum Erhalt der Tabakindustrie. »Even Haarstad«, wiederholte er mit betrübter Miene. »Warum bin ich nicht überrascht, dass sein Name in so einem Zusammenhang auftaucht? Was hat er denn gemacht?«
»Wenn man ihm glauben soll, nichts. Aber gewisse Parallelen zwischen zwei Fällen von schwerer Körperverletzung weisen in seine Richtung.«
»Sittlichkeitsverbrechen?«
»Verbrennungen und Erfrierungen. Einem wurden die Hände im Eiswasser festgekettet, einem anderen wurde der Arm an einen Heizstrahler gebunden.«
»Du liebe Zeit! War das Even?« Die Sache war durch die Zeitungen gegangen und den meisten selbstverständlich ein Begriff. Der Polizist setzte sich mit einem resignierten Seufzer. »Ja, das könnte er schon gewesen sein. Und vielleicht hätte ich den Zusammenhang schon längst sehen müssen.«
Rino wartete gespannt darauf, dass Bøe weitersprach.
»Wenn ich glauben soll, was man mir erzählt hat, dann war Evens Kindheit die reinste Hölle. Aber wie so oft in solchen Fällen blieb das Verbrechen unentdeckt. Die wenigsten hier wussten, was in diesem Haus geschah, zumindest was das Ausmaß der Qualen anging.«
»Wieso meinen Sie, dass er gut hinter diesen Fällen von Körperverletzung stecken könnte?«
Der Polizist massierte seinen zurückgewichenen Haaransatz. »Ich kann Ihnen einen Namen sagen«, erklärte er und schrieb HALVARD HENNINGSEN auf einen Post-it-Zettel. »Der wohnt hier im Altenheim, einem weißen Backsteinbau, das einer psychiatrischen Einrichtung zum Verwechseln ähnlich sieht. Halvard war der nächste Nachbar. Er weiß Bescheid. Außerdem ist er immer noch gut in Form, zumindest geistig. Unterhalten Sie sich mal mit ihm. Ich hänge mit meiner Arbeit nämlich ziemlich hinterher.«
»Keine Eltern oder Geschwister?«
Der Polizist schüttelte entschieden den Kopf.
»Ist er hier in der Nähe aufgewachsen?«
»In einem grässlichen Haus nicht weit von hier.« Der Gesichtsausdruck des Mannes verriet, dass er sich lieber nicht näher dazu äußern wollte. »Ein Kollege von mir wohnt vorübergehend dort. Fahren Sie ungefähr drei Kilometer weiter, und wenn das Schild nach Hamrene kommt, biegen Sie rechts ab. Der Weg steigt ungefähr fünfhundert Meter gleichmäßig an. Sie kommen mehr oder weniger direkt an zwei Häusern vorbei, unter anderem auch an dem Haus, in dem Halvard gewohnt hat. Am Ende der Straße steht noch einmal ein einzelnes Haus. Sie können es gar nicht verfehlen.«
Zehn Minuten später stellte er das Auto vor dem Haus ab. Als er ausstieg, ging die Tür auf, und eine Frau lächelte ihn an. Sie trocknete sich die Finger an einem schmutzigen Hemd ab. »Ich bin Karianne«, sagte sie und lächelte noch breiter, wenn das überhaupt möglich war.
23
Andreas Geschichte
Der Teufel Alkohol hatte Edmund im Laufe der Jahre immer fester im Griff. Meistens betrank er sich so, dass er sowieso keinem anderen mehr zur Last fiel als sich selbst, und wenn er sich von seinen Besäufnissen erholte, wenn er sich im Selbstmitleid gesuhlt und sich in einen Eimer übergeben hatte, fanden Andrea und die Kinder ihren Frieden. Sie wussten, dass Edmund sich für eine Weile
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