Der Mahlstrom: Roman (German Edition)
Dreitausend! Obwohl sie wusste, dass sie sowohl das Geld als auch die Sache mit der Stromrechnung würde erklären müssen, konnte sie ihren freudigen Jubel nicht unterdrücken. Sie versprach den Kindern neue Puppen, wenn sie dem Vater nichts von ihrem Ausflug erzählten. Was die Stromrechnung anging, hatte sie einige Hoffnung, ungeschoren davonzukommen, denn der Brief kam an einem Tag, an dem Edmund betrunken war. Sollte er eines Tages fragen, würde sie einfach behaupten, die Rechnung sei von Edmund Antonsen bezahlt worden, der sich um seine Familie kümmerte, so gut es nur ging. Und was das Geld betraf, hatte sie vor, es zu verstecken, heimlich einen oder zwei Hundertkronenscheine mitzunehmen, wenn er sie zum Einkaufen schickte, und ansonsten einfach zu behaupten, sie sei eben eine gute Wirtschafterin. Doch das Einzige, was Edmund stutzen ließ, war der Umstand, dass die Puppen mehr geworden waren. Sie bestritt es, und die erschrockenen Kinder bestätigten ihre Aussage. Doch wenn er den Puppen mehr Interesse entgegengebracht hätte, wäre ihm bald aufgefallen, dass sie kamen und gingen, als führten sie ein Eigenleben.
Die Puppen, die sie gekauft hatte, waren alle sorgfältig ausgewählt worden. Konrad bekam Michio, den Starken, Aufrechten, Heidi bekam Fumiko, die Lebensfrohe, und Linea bekam Fujika, die Schönste aller Schönen. Denn Linea hatte überhaupt nichts von Edmund an sich. Vielleicht hatte Andrea deswegen besonders viel Angst um Linea. In ihr war alles Schöne vereint.
Es machte ihr zu schaffen, dass Heidi sich so sehr nach einer gleichaltrigen Spielkameradin sehnte, wobei es gleichzeitig rührend war zu sehen, wie fürsorglich sie sich um ihre kleine Schwester kümmerte. Denn obwohl Heidi etwas zurückgeblieben war, besaß sie einen Beschützerinstinkt, der für ihr Alter deutlich überentwickelt war. Und Linea hatte es sehr bald heraus, dass sie eine große Schwester hatte, die sie vergötterte. Aber das ging vielleicht noch tiefer, denn Heidi hatte ein geradezu telepathisches Verhältnis zu ihrer Schwester entwickelt und kam ihr oft zuvor, wenn sie irgendetwas wollte, ob sie nun Hunger hatte oder ein bestimmtes Spielzeug wollte. Und wenn sie getrennt waren, wusste Heidi, was ihre Schwester ihr später erzählen würde, als hätte sie über sie gewacht wie ein unsichtbarer Schatten. Es war, als würden ihre mangelnden geistigen Fähigkeiten durch ihre Intuition ausgeglichen, mit der sie am Leben ihrer Schwester teilnahm.
Das Weihnachtsfest in diesem Jahr stand im Zeichen der Kontraste. Andrea putzte und schmückte das Haus, spürte die brodelnde Vorfreude der Kinder und freute sich mit ihnen. Was Edmunds gewalttätige Tendenzen anging, war im letzten halben Jahr kaum mehr etwas vorgefallen, sie glaubte vielmehr, eine verschämte Beklommenheit an ihm zu bemerken, wenn er sich mit den Dämonen seines Katers herumschlug. Sie sah, dass er sich für seine Erbärmlichkeit schämte. Und vielleicht, so hoffte sie, vielleicht gab es ja ein Gewissen irgendwo in diesem dunklen Gemüt, ein Gewissen, dass ihr und den Kindern eigentlich nur Gutes wollte.
Am 24. Dezember bemerkte sie, dass es weder Geld fürs Weihnachtsessen noch für die Geschenke der Kinder gab. Sie brachte es nicht über sich, ihn zu fragen, denn sie wollte es ihm nicht noch schwerer machen. Deswegen ging sie ihren eigenen Geschäften nach, während er mit jeder Stunde stiller und verschlossener dasaß. Die Niederlage, der er entgegenblickte, hätte kaum größer sein können. Er sah die freudige Erwartung aus den Augen seiner Kinder leuchten, eine Erwartung, die er in den nächsten Stunden unausweichlich zerschmettern musste, und zwar einzig und allein deswegen, weil sein Selbstmitleid über das Verantwortungsgefühl gesiegt und er sein weniges Geld versoffen hatte.
Sie hatte den Kindern bereits neue Puppen gekauft, aber sie hatten mehr verdient als das. Noch hatte sie ein wenig Geld zu Hause versteckt, Geld, das sie nicht auszugeben wagte, weil sie befürchtete, Rechenschaft ablegen zu müssen. Sie kümmerte sich um ihre Angelegenheiten, anscheinend in unbekümmerter Vorfreude, doch in Wirklichkeit war jeder Muskel in ihr angespannt, weil sie wusste, dass die Tragödie nur noch Stunden entfernt war. Am Weihnachtsvorabend beschloss sie dann, um der Kinder willen zu handeln, von ihrem eigenen Geld einzukaufen und einfach darauf zu vertrauen, dass er mit ihrer Bestrafung bis nach Weihnachten warten würde. Sie besorgte also Geschenke, richtig
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