Der Makedonier
brauchte Pleuratos sich nur umzusehen, um zu begreifen, daß es unmöglich eine Falle sein konnte. In etwa tausend Schritt Entfernung waren am anderen Ende der Wiese zwar makedonische Reiter zu erkennen, aber seine Späher berichteten, daß der Feindnoch nicht vollständig versammelt war, und das Gelände bot keiner der beiden Seiten besondere Vorteile. Philipp hatte einfach nur den Schauplatz ihrer Auseinandersetzung gewählt, und Pleuratos mußte zugeben, daß er keinen Grund zur Klage hatte.
Es dauerte weit über drei Stunden, bis die gesamte illyrische Streitmacht den Paß überquert und auf dem Schlachtfeld Aufstellung genommen hatte, und in dieser Zeit ließ Pleuratos sich ständig von seinen Spähern berichten. Philipp zog seine Armee zusammen. Die Makedonier zählten zehntausend Fußsoldaten und etwa sechshundert Reiter. Allem Anschein nach war dieser Junge wirklich bereit zu kämpfen.
Zum erstenmal spürte nun Pleuratos den dunklen Schatten der Angst. Es war nicht so sehr die Tatsache, daß der Feind ihm zahlenmäßig ebenbürtig war, denn schließlich besaß der Hauptteil dieser Armee keine Kriegserfahrung und war deshalb fast nutzlos. Mehr als alles andere war es die immer deutlicher werdende Erkenntnis, daß Philipp diese Schlacht wirklich wollte. Philipp hatte die Herausforderung angenommen, hatte eine riesige Armee auf die Beine gestellt, hatte sogar das Schlachtfeld gewählt. Philipp hatte es nicht nur auf sich zukommen lassen, er hatte gehandelt.
»Er hat keine Angst«, dachte Pleuratos. »Er freut sich darauf.«
Es war beinahe so, als könnte er Bardylis’ hämisches verächtliches Lachen hören.
45
DIE ILLYRER STELLEN ihre Fußtruppe zu einem Verteidigungsgeviert auf.«
Lachios, der den linken Flügel der Reiterei befehligte, sprang vom Pferd und kauerte sich neben seinen König, der auf einem umgedrehten Wasserkrug saß und eine Sandale ausbesserte. Mit gerunzelter Stirn schnitt Philipp einen Lederriemen zurecht, und zunächst sah es so aus, als hätte er nicht zugehört.
»Wie ungewöhnlich«, sagte er nach einer Weile wie zu sich selbst. »Sie greifen doch sonst gerne an, also muß Pleuratos Angst haben. Nur ein Geviert?«
»Nur eins.«
»Und wie stellen sie ihre Reiterei auf?«
»Den Hauptteil auf dem rechten Flügel.«
»Wie viele?«
»Grob geschätzt, etwa fünfhundert an beiden Flügeln.«
Philipp legte sein Schustermesser in eine kleine hölzerne Werkzeugkiste und zog sich die Sandale an. Erst danach wandte er Lachios seine ganze Aufmerksamkeit zu.
»Die sind nur gut für einen einzigen Angriff, aber er wird heftig sein. Wir brauchen ihnen nur ein Ziel zu geben, und sie greifen an – sie können sich einfach nicht zurückhalten. Wir werden den Angriff abwehren, so gut wir können, und wenn sie dann versuchen, sich für einen zweiten zu sammeln, greift ihr beide, du und Korous, sie an.«
Lachios nickte. Er hörte dies nicht zum erstenmal, doch es machte ihm nichts aus, noch einmal daran erinnert zu werden, denn das war etwas, was Philipp immer tat. Man gewöhnte sich daran. Und eigentlich war es fast beruhigend.
»Und dann stoßen wir in die Lücke vor«, sagte er, als würde er den Satz seines Herrn beenden.
Nun war es Philipp, der nickte.
»Ja. Die Fußtruppe wird ihre rechte Ecke aufbrechen -da sie die unbedingt schützen wollen, muß das ihre schwächste Stelle sein –, und die Reiterei wird ihnen dann den Rest geben.«
»Du läßt dich also nicht davon abbringen?«
»Nein. Der Angriff der Fußsoldaten ist der Schlüssel zum Sieg, und deshalb muß ich bei ihnen sein.«
»Ein König sollte besser auf sein Leben achtgeben, vor allem wenn er keinen Nachfolger hat. Wenn du getötet wirst, ist das schlimmer, als wenn wir verlieren würden.«
Der König von Makedonien lachte.
»Wir hatten diese Unterhaltung doch schon einmal«, sagte er. »Lachios, gib’s zu, du hältst es einfach für unwürdig, ohne ein Pferd zwischen den Knien in die Schlacht zu ziehen.«
Lachios lächelte und zuckte die Achseln. »Das hast du gesagt. Ich finde es nur unangebracht, daß du Schulter an Schulter mit Bauernjungen kämpfst. Ein Edelmann sollte nicht so kämpfen.«
»Aber die Thebaner kämpfen so.«
»Wer behauptet denn, daß die Thebaner Edelmänner sind?«
Jetzt lachten sie beide.
Doch dann sagte einen Augenblick lang keiner von beiden etwas. Ein Soldat lernt, mit seiner Angst kurz vor der Schlacht umzugehen, denn er weiß, daß der Mut kommen wird, wenn er ihn braucht,
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