Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
Vom Netzwerk:
jedenfalls nicht in meinen Augen.«
    »Der Glaube müsste hier eigentlich Trost bieten. Das Leben und die Schönheit der Jugend sind genauso ein Geschenk unseres Schöpfers wie Verfall und Tod…« Michelangelo schüttelte den Kopf. »Manchmal ist es schwer, sich klaglos mit den unergründlichen Wegen abzufinden, die Gott in seiner grenzenlosen Weisheit beschreitet.«
    Gott in seinem grenzenlosen Wahnsinn, dachte Leonardo. Doch er schwieg.
    Als Leonardo nicht reagierte, erklärte Michelangelo: »Die Pietà wird übermorgen nach Rom gebracht. Ich reise mit und bleibe auf unbestimmte Zeit dort.«
    »Es wird Aufträge für Sie regnen, Meister Buonarroti.«
    »Würden Sie mir die Freude machen, mich Michelangelo zu nennen?«
    »Leonardo.«
    »Das ist etwas schwieriger.«
    »Wieso? Weil ich älter bin?«
    »Respekt vor der Erfahrung, vermute ich.«
    »Offenbar bist du doch nicht so arrogant, wie ich anfangs dachte.«
    »Ich sagte dir doch schon in Mailand, dass ich lediglich die Angewohnheit habe, die Wahrheit zu sagen. Das hat nicht jeder gern.«
    » Deine Wahrheit.«
    »Bis ich eine bessere gefunden habe.« Michelangelo erhob sich. »Wenn du erlaubst, gehe ich jetzt in die Werkstatt zurück.«
    »Um die Bewunderung des Publikums auszukosten?«
    »Nein, weil ich Hunger habe.« Michelangelo lachte überraschend. »Oder darf ein begnadeter Künstler nicht von derart Prosaischem reden?«
    Einem begnadeten Künstler dürfte nur selten etwas verübelt werden, dachte Leonardo. Es sei denn, er liefert Arbeiten von minderer Qualität ab oder vollendet sie nicht…
    Er sagte: »Es ist ein schöner Abend, fast so schön wie im Florenz von einst. Die Natur bleibt zum Glück relativ unbeeinträchtigt von der Torheit des Menschen. Ich glaube, ich bleibe noch ein Weilchen hier sitzen.«
    »Die Natur ist eine trostreiche Konstante«, bestätigte Michelangelo. »Ich freue mich schon auf unsere nächste Begegnung, Leonardo. Hier oder in Rom.«
    Leonardo schaute ihm nicht nach, aber er spürte, dass er gegangen war. Wieder hinterließ Michelangelo dieses unbestimmte Gefühl der Leere. Und jetzt wusste Leonardo auch, womit es zu tun hatte, nämlich mit wahrhafter Größe.
    Der Prior des Klosters Santissima Annunziata sagte es rundheraus: »Wenn ich gewusst hätte, dass Sie wieder nach Florenz kommen, hätte ich niemals einen anderen Künstler mit diesem Werk beauftragt.« Der Prior war klein und rundlich und hatte eine blanke Glatze. Man sah ihm nicht an, dass er einer der reichsten Kirchen von Florenz vorstand. Er sah Leonardo hoffnungsvoll an: »Aber wenn ich recht verstehe, ist das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen?«
    »Meister Filippino ist bereit, den Auftrag ohne irgendwelche Auflagen an mich abzugeben, Pater Prior.«
    »Ich hatte von Anfang an meine Zweifel, ob Meister Filippino der Arbeit gewachsen sein würde. Es soll ein sehr großes Gemälde werden. Auch von den Maßen her.«
    Leonardo nickte. »Drei braccia breit und fünf hoch, nicht wahr? Das verlangt eine besondere Technik.«
    Der Prior lächelte. »Und gerade darin sind Sie ausgesprochen versiert, wie mir versichert wurde.«
    Leonardo blickte durch eines der Fenster seitlich des Hochaltars nach draußen. Das Kloster grenzte an den Skulpturengarten der Medici in San Marco. Eine perfekte Umgebung.
    »Ich bin gerade erst nach Florenz zurückgekehrt und logiere noch in einem Gasthaus«, sagte er und sah den Prior abwartend an.
    »Oh, Sie können natürlich hier im Kloster wohnen, Meister da Vinci. Das wäre doch auch sehr praktisch.«
    Zumal er mich dann besser kontrollieren kann, dachte Leonardo. »Ich bin aber nicht allein, Pater Prior. Ich habe noch einen Gesellen bei mir.«
    »Einen Gesellen?« Die Miene des Priors verriet nichts, doch aus seiner Stimme sprach Neugier.
    »Arbeiten dieser Größenordnung kann kein Künstler ganz allein bewältigen, wie Sie zweifellos wissen werden. Ich habe einen festen Gesellen, der mir seit Jahren assistiert.«
    »Ein Mann mehr oder weniger sollte kein Problem sein. Wir verfügen über einige Quartiere für Pilger, und die gibt es zurzeit kaum.«
    »Ich danke Ihnen, Pater Prior. Wollen wir dann jetzt über das Honorar sprechen? Sie werden verstehen, dass es sich in einer anderen Größenordnung bewegen muss als für Lippi vorgesehen.«
    »Ich verfahre nach der Regel: Erst die Arbeit, dann der Lohn. Womit ich nicht sagen will, dass ich nicht bereit bin, eine gewisse Anzahlung zu leisten. Aber die Höhe des Endbetrags wird von der

Weitere Kostenlose Bücher