Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
vielleicht sollte ich mich als Pilger verkleiden, dachte er sarkastisch, während er dem Mönch folgte. Tatsächlich kam er sich in seinen farbigen Röcken neuerdings etwas albern vor. Wie ein Pfau, der nur noch ein halbes Dutzend Federn am Arsch hat, hatte er in einem Anflug von Bitterkeit notiert. Dass er sich kürzlich eine Brille hatte anfertigen lassen müssen, weil seine Sehkraft nachgelassen hatte, trug auch nicht gerade zur Aufhellung seiner Stimmung bei.
Vitelli stand mit dem Rücken zur Tür in dem großen Saal und schaute sich Leonardos Karton an. Zwei Landsknechte hatten sich in diskretem Abstand von ihm postiert. Wachsam glitt ihr Blick über den eintretenden Leonardo.
»Erstaunlich, dass ich noch nie zuvor ein Werk von Ihnen gesehen habe«, sagte Vitelli statt einer Begrüßung. Er schaute sich dabei nicht einmal um.
»Dann kann ich also davon ausgehen, dass Sie nicht gekommen sind, um mir einen Auftrag zu erteilen?«, erwiderte Leonardo.
»Im Gegenteil.« Vitelli drehte sich auf dem Absatz herum. »Wenn es auch vielleicht nicht die Art von Auftrag ist, die Sie erwarten, Meister da Vinci.«
Der Hauptmann hatte ein schmales Gesicht mit stechenden kleinen Augen und erinnerte Leonardo an ein Frettchen. Sein Blick schoss zu dem alten Mönch, der schweigend an der Tür stehen geblieben war. »Sie haben gewiss noch anderes zu tun, Pater«, sagte er ruhig. Dann wandte er sich, ohne abzuwarten, ob der Mönch auch wirklich ging, wieder dem Karton zu, als sei ihm der eigentliche Grund seines Besuches nicht mehr so wichtig. »Seine Exzellenz Cesare Borgia ist außerordentlich an Ihren technischen Errungenschaften interessiert. Um seine Worte zu zitieren: ›Ein vielseitiger Mann, der hohes künstlerisches Können mit nie da gewesenem technischen Verstand verbindet, genau der Mann, den wir brauchen.‹«
Als Leonardo schwieg, obwohl er nun doch neugierig geworden war, drehte sich Vitelli wieder zu ihm um. »Seine Exzellenz wünscht, dass Sie für ihn arbeiten.«
»Ist der Herzog nicht ein treuer Vasall der Franzosen?«
Vitelli runzelte die Stirn. »Was haben Sie gegen die Franzosen?«
»Mir hat Florenz besser gefallen, bevor sie hier alles auf den Kopf gestellt haben.«
»Aber die Franzosen hegen doch große Wertschätzung und Bewunderung für die italienische Kunst! Mehr, als sie Ihnen bisher zuteil geworden sein dürfte, oder?«
Leonardo zuckte die Achseln. »Ich kann mich nicht beklagen.«
Vitelli nickte unwirsch, als sei er es leid. »Nun gut. Herzog Borgia würde also gern Ihre Fähigkeiten als Ingenieur in Anspruch nehmen, als Militäringenieur.« Es klang, als habe er selbst Bedenken.
»Hm, und können oder mögen Sie mir auch sagen, wobei er diese konkret in Anspruch zu nehmen gedenkt?«
»Nun, der Herzog sähe es gern, wenn Sie seine Herrschaftsgebiete bereisten, um Informationen über deren Befestigung zusammenzutragen und gegebenenfalls Vorschläge zu deren Verbesserung zu machen.«
»Ich reise nicht gern. Zu viele Unannehmlichkeiten, wissen Sie«, entgegnete Leonardo, doch eigentlich kam das Angebot zu einem günstigen Zeitpunkt. Er konnte Pinsel und Palette wirklich für eine Weile nicht mehr sehen. Und ihm kam noch ein anderer Gedanke: »Würden Sie mir eine Gunst erweisen?«
Vitelli hatte sich wieder dem Karton zugewandt, der ihn offenbar beeindruckte. »Es wäre mir vielleicht sogar eine Ehre.«
»Ich nehme an, Sie kennen die hochwohlgeborene Marchesa Isabella d’Este?«
»Nicht persönlich, aber ihr Name ist mir ein Begriff. Und ihr Gemahl ist als notorischer Verächter alles Französischblütigen bekannt.«
»Dann wäre es doch gewiss auch in Ihrem Sinne, wenn man mir diese Dame fortan vom Halse hielte, nicht wahr?«
Vitelli schien aufrichtig erstaunt zu sein. »Verzeihen Sie die indiskrete Frage, aber hatten Sie etwas mit der Marchesa?«
»Nichts, was mein Seelenheil in Gefahr bringen könnte, falls Sie das meinen sollten.«
Vitelli wartete noch kurz, ob Leonardo sich näher erklären würde, doch als es nicht danach aussah, nickte er, als habe er einen Entschluss gefasst. »Ich werde dem Herzog Ihre Bitte vortragen. Wir wollen doch sicherstellen, dass Sie nicht von Ihren Aufgaben abgelenkt werden.«
Leonardo musste zugeben, dass er neugierig war auf Cesare Borgia. Und nach einiger Bedenkzeit fand er einen Kompromiss, der ihm erlaubte, mit ruhigerem Gewissen in den Dienst des Herzogs zu treten. Er würde zugleich für Florenz ausspähen, was sich an dessen Hofe tat, denn
Weitere Kostenlose Bücher