Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
du würdest die Antwort nicht verstehen.« So, wie ich nicht verstehe, was Tausende von Menschen wissentlich in die Hölle ziehen lässt, dachte er.
Salaì war nicht gekränkt, dass Leonardo ihm das Wort abschnitt, sondern sah ihn nur ein wenig besorgt an.
Leonardo griff zu seinem Römer und trank seinen Wein aus. »Ich geh ins Bett, und du?«
Salaì schüttelte langsam den Kopf. »Ich starre gern noch ein Weilchen in die Flammen.«
Leonardo nickte und stand auf, wobei er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die linke Schulter rieb. Früher hätte Salaì angeboten, mir die Schulter zu massieren, dachte er. Aber vielleicht fährt er nicht gern mit den Händen über welkende Haut. Ihr Verhältnis zueinander hatte sich zwar wieder verbessert, seit sie erneut zusammenarbeiteten, aber die alte Vertrautheit und Intimität wollte sich nicht mehr einstellen. Vielleicht ist das das Los aller langen Beziehungen, dachte Leonardo. Sie sind einer Art Erosion unterworfen, die mit der Zeit jegliche zarten Bande verschleißt.
Er lag an diesem Abend nicht lange wach, zu nachdrücklich verlangte sein müder Leib nach Ruhe. Als er eingeschlafen war, träumte er zum ersten Mal seit langem wieder von der Apokalypse. Diesmal freilich ohne die grauenerregenden Bilder vom Untergang, als lägen diese bereits hinter ihm. Stattdessen war da nun eine die gesamte Erde überziehende Sandwüste. Alles Wasser, einschließlich der Meere, war in dem Höllenfeuer verdampft, das in früheren Träumen aus dem Erdinneren hervorgebrochen war wie Eiter aus einer schwärenden Wunde. Und in dieser weltweiten Wüste irrte ein einziges lebendes Wesen umher, ein Mann, unermesslicher Einsamkeit ausgesetzt…
»Wann gedenken Sie endlich das Porträt von meiner Frau fertigzustellen?«
Leonardo drehte sich unwillig zu Francesco del Giocondo um. Er war in die Betrachtung seines allmählich entstehenden Wandgemäldes vertieft gewesen und hatte den Mann gar nicht kommen hören. »Wie Sie sehen, habe ich momentan anderes zu tun.« Fast hätte er gesagt »Besseres zu tun«.
»Das große Geld?«
»Ich bin Künstler, Herr, und kein Händler.«
»Erzählen Sie mir doch nicht, Geld sei Ihnen nicht wichtig! Der Preis, den Sie sich für das kleine Porträt ausbedungen haben…«
»Für das Sie womöglich bereits einen Käufer haben, der mindestens das Doppelte dafür bezahlen will. Sind Sie deshalb so ungeduldig?«
»Alles hat seine Grenzen.«
Leonardo zeigte auf die Wand. »Und das dort sind derzeit die meinen.«
»Was meinen Sie denn, wann Sie hier fertig sind?«
»Wenn es nach meinem Empfinden nichts mehr zu verbessern gibt. Und das lässt sich nicht auf ein vorher bestimmtes Datum festlegen.«
»Das entspricht aber meines Wissens nicht dem Vertragsgebaren der Signoria.«
Leonardo holte tief Luft. »Mein lieber Herr Giocondo, dass das Porträt von Ihrer Gemahlin noch nicht fertig ist, liegt unter anderem daran, dass ich etwas Besonderes daraus machen möchte. Genügt das als Erklärung?«
Giocondo zog misstrauisch die Brauen hoch. »Etwas Besonderes? Inwiefern?«
»Das werden Sie dann mit eigenen Augen feststellen können, wenn es so weit ist. Ich verspreche Ihnen, dass es den Handelswert nicht schmälern wird.«
»Was haben Sie gegen Handelsleute?«
Ich habe vor allem etwas gegen ungeduldige Leute, dachte Leonardo. Seine Aufmerksamkeit wurde wieder auf das Fresko gelenkt, weil einer der Gehilfen ausglitt und beinahe vom Gerüst fiel. Er konnte sich aber aus eigener Kraft wieder hochziehen. Einige von den anderen lachten.
Ohne Giocondo anzusehen, sagte Leonardo: »Sobald es vorangeht, werde ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen.« Oder mit Ihrer Frau, wollte er noch ergänzen, doch Giocondo hatte sich schon wütend abgewendet. Die große Tür des Ratssaals schlug dröhnend hinter ihm zu.
Leonardo studierte die Pferde auf seinem Fresko. Er hatte sie dynamisch, mit gespannter Muskulatur in ungestümer Bewegung dargestellt, als wären sie mit Leidenschaft am Kampf beteiligt, wenngleich das natürlich nicht der Realität entsprach. Militärpferde waren willenlose Diener und oft Opfer der blutigen Gewalt, die sie gar nicht verstanden. Doch mit ihrer Darstellung im Stile angreifender Löwen ließ sich die Ausdruckskraft der Kampfszenen erheblich verstärken. Auch die, die auf dem Rücken der Pferde saßen, standen ihnen an animalischer Wucht, mit der sie die Tiere zu höchst unnatürlichen Taten zwangen, in nichts nach.
Fehlen nur noch die Laute des
Weitere Kostenlose Bücher