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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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geheimnisvolle Bedeutung in sich barg, als spottete der Mund über den, der seinen Ausdruck zu deuten suchte. Es war ein Ausdruck, in dem etwas vom ewigen und unergründlichen Rätsel Frau lag. Ein Ausdruck, der auch heißen konnte: Ja, ich weiß, du bist mein Kind, aber glaub nicht, das könnte mich daran hindern, dich herzugeben, wenn es mir passt…
    Leonardo nahm die Zeichnung von der Staffelei und warf sie, ohne hinzuschauen, auf die anderen Skizzen, die sich auf seinem Schreibtisch türmten.
    Ihm war auf einmal die Lust vergangen, an Lisas Porträt weiterzuarbeiten. Fürs Erste jedenfalls.

28

    Im Refektorium des Klosters Santa Maria Novella herrschte eine ohrenbetäubende Geschäftigkeit. Überall wurde gehämmert und gesägt. Ein Trupp Zimmerleute war dabei, entlang einer der Wände eine fünf braccia lange Arbeitsbühne zu bauen, die an Hanfseilen aufgehängt wurde und mittels Flaschenzügen auf- und abwärts bewegt werden konnte. Einige Gehilfen mühten sich emsig, das Dach und die Fenster abzudichten, damit kein Regen mehr eindrang. Bauarbeiter gingen daran, einen Durchbruch zwischen dem Refektorium und den angrenzenden Privaträumen zu machen, die Leonardo für die Dauer seiner Tätigkeit hier zur Verfügung gestellt worden waren. Die Signoria hatte ein Wandgemälde der ruhmreichen Anghiarischlacht für ihren neuen großen Ratssaal in Auftrag gegeben, und hier sollte der Karton dazu entstehen, für den gerade die Bögen von einem Ries Papier aneinandergeklebt wurden.
    Für all das hatte Leonardo bereits einen Vorschuss von fünfunddreißig fiorini erhalten, und bis zur Fertigstellung des Wandgemäldes, für die ein fester Termin vereinbart war, sollte ihm ein monatliches Honorar von fünfzehn fiorini gezahlt werden.
    Um sich auf das Thema vorzubereiten, hatte Leonardo Niccolò Machiavelli um Material über die historische Schlacht nahe Arezzo gebeten. Die Hügellandschaft dort kannte er aus eigener Erfahrung, denn er hatte sie durchquert, als er zu Cesare Borgia nach Urbino geritten war.
    Das Fresko sollte gewissermaßen die Geschichte der Schlacht erzählen und eine Folge von Szenen daraus darstellen. Dazu schlug Machiavelli vor: »Ich würde mit Niccolò Piccinino anfangen, der zu seinen Truppen spricht. Das war ein sehr bedeutsamer Moment. Zeig ihn, wie er in voller Rüstung sein Pferd besteigt und vierzig Reitertrupps und zweitausend Fußsoldaten ihm folgen…«
    Machiavelli kannte Leonardo inzwischen gut genug, um zu wissen, wie er dessen Phantasie anregen musste. Und Leonardo brauchte sich auch nicht zu zügeln, denn die Signoria erwartete, dass er bei den spektakulären, heroischen Bildern, welche die Wehrhaftigkeit der Florentiner und ihrer Befehlshaber untermalen sollten, im wahrsten Sinne des Wortes dick auftrug. Es kam Leonardo sehr entgegen, auf diese Weise auch die schrecklichen Erinnerungen an Grausamkeiten verarbeiten zu können, die er im Dienste Borgias aus nächster Nähe hatte miterleben müssen.
    Sowie alle Vorbereitungen getroffen waren, arbeitete er denn auch intensiv an dem riesigen Karton, wobei sich wie bei seinem Abendmahl Phasen der konkreten zeichnerischen Arbeit mit solchen der Kontemplation abwechselten, in denen er pausierte und das Werk im Geiste reifen ließ. Wenn die Pausen zu lang zu werden drohten, war Salaì da, um ihn daran zu erinnern, dass es einen verbindlichen Ablieferungstermin gab und mit der Signoria nicht zu spaßen war.
    Salaì war auf Wunsch Leonardos aus Mailand gekommen, um ihm bei der Arbeit zur Hand zu gehen. Er sollte sich vor allem um die Beaufsichtigung der Gesellen und Helfer kümmern, damit Leonardo möglichst wenig in seiner Kreativität gestört wurde. Das war eine Arbeitsteilung, die ihnen beiden gefiel. Aus dem einst so verantwortungslosen Luftikus Salaì war nicht nur ein beachtlicher Maler geworden, sondern auch einer, der ein gutes Händchen dafür entwickelt hatte, junge Menschen zu führen. Vielleicht gerade weil er seine eigenen wilden Jahre nicht vergessen hatte und daher genau wusste, wie man mit ihnen umging.
    »Dieser Auftrag tat not«, sagte Leonardo eines Abends, als sie nach ihrem langen Tagewerk mit einem Römer Wein am Kamin in Leonardos Wohnraum saßen. »Ich komme mir manchmal vor, als stünde ich mitten im Schlachtgetümmel und schlüge mit einem Schwert um mich.«
    Salaì nickte. »In einigen Szenen steckt eine gehörige Portion Wut. Ich frage mich…«
    Leonardo hob abwehrend die Hand. »Frage nicht, woher diese Wut kommt,

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