Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
Bildhauerkollege eingeschlagen, ein gewisser Pietro Torrigiano.«
Leonardo grinste. »Und was war nun wirklich der Grund dafür, dass du diesen Wettstreit abgelehnt hast?«
»Sagen wir mal, ich wollte mich nicht mit einem älteren Mann schlagen.«
Leonardo brauste auf: »Ich kann immer noch…«
»Meine Herren, ich bitte Sie!«, mahnte Salaì.
»Entschuldige, Leonardo. Ich versuche nur zu verdrängen, dass ich auch irgendwann einmal sechzig werde.«
Leonardo seufzte missvergnügt. »Ich bin dreiundfünfzig!«
»Das wusste ich nicht. Ich bin von dem ausgegangen, was mir meine Augen sagen.«
Leonardo brütete über einer Replik. »Dieser Wettstreit wäre wohl in der Tat zu einer Schlacht ausgeartet, und das nicht nur auf unseren Fresken. Wollen wir anstoßen?« Er winkte Salaì, der sich beeilte nachzuschenken.
»Ich weiß übrigens gar nicht, ob ich so bald über den Karton hinauskommen werde, denn ich arbeite noch an einem anderen Auftrag, der eine weit größere Herausforderung darstellt. Ein David aus Marmor, fast so groß wie dein fehlgeschlagenes Reiterstandbild damals.«
»Ich habe davon gehört. Man sagt, du hast es gern monumental.«
»Es ist eben die Frage, ob man so einem Werk gewachsen ist oder nicht.«
»Sei froh, dass du es nicht in Bronze zu gießen brauchst, denn da stellen sich noch ganz andere Fragen!«
»Warum sollte ich? Marmor ist viel wertvoller und schöner. Im Anschluss an den David muss ich auch noch einmal nach Rom, wegen eines Grabmonuments für den Papst.« Michelangelo erhob sich. »Ich werde noch ein paar Vermessungen für meinen Karton machen. Oder kannst du mir vielleicht deine Maße geben? Das ersparte mir die Arbeit. Ich bräuchte dann nur überall etwas dazuzugeben.«
Leonardo ging nicht darauf ein. »Ich wünsche noch einen inspirierenden Tag«, sagte er lediglich.
»Wie lange kannst du eigentlich noch im Kloster wohnen?«, erkundigte sich Lorenzo di Credi.
Leonardo zuckte die Achseln. »Sie haben vergessen, das zu befristen. Aber ich bleibe ohnehin nicht in Florenz.«
»Was hast du gegen die Stadt, die dich gemacht hat?«
»Ich fühle mich hier nicht mehr wohl, es hat sich zu viel verändert.«
»War es denn in Mailand so viel besser?«
»Dort litt ich zumindest nicht unter Nostalgie. Außerdem hätte mich der Gouverneur von Mailand jetzt gerne an seinem Hof. Zu welchem konkreten Zweck, steht noch nicht fest. Er sieht sich wohl einfach gern von Künstlern umringt.«
»Schade, dass du wieder weggehst. Ich wollte dir gerade die Beteiligung an meiner Werkstatt anbieten.«
Leonardo zögerte einen Augenblick mit seiner Antwort. »Dein Angebot freut mich sehr, aber… Nein, im Moment zieht es mich eher von Florenz fort.«
Leonardo betrachtete das Porträt von Lisa, an dem er inzwischen wieder arbeitete. Unwirsch nahm er seine Brille ab, putzte sie sorgfältig und setzte sie wieder auf, um den Blick erneut auf das Porträt zu heften.
»Brillen sind ein Fluch«, schimpfte er. »Kann man die Gläser denn nicht kleiner und dünner machen, so dass sie direkt auf der Linse zu tragen sind? Dann behinderten sie nicht und blieben staubfrei.« Er sah di Credi an. »Das muss doch möglich sein! Ob es schon einmal einer versucht hat?«
»Deine Einfälle erstaunen mich immer wieder«, antwortete di Credi. »Aber dieses Porträt, also ich weiß nicht…« Er studierte das kleine Gemälde, das allmählich Form und Ausdruck annahm, obwohl die meisten Züge des Frauengesichts nur angedeutet waren. Dagegen trat der Mund mit dem leisen Lächeln derart prononciert hervor, dass es schon fast karikaturesk wirkte.
»Wie du siehst, ist es noch lange nicht fertig«, entgegnete Leonardo schroff.
»Der Hintergrund ist wunderbar, aber… Ich kann Lisa del Giocondo nicht darin erkennen, nicht wirklich.«
»Du siehst nicht die Lisa, die du zu kennen glaubst, meinst du.«
»Giocondo wird es gewiss nicht gefallen.«
»Das ist dann sein Problem.«
»Gibt es noch jemanden in Florenz, mit dem du keinen Streit hast?«
Leonardo grinste. »Ja, dich.«
Im selben Augenblick klopfte es an der Tür. »Man hat mich gebeten, den Herrn Francesco di Bartolomeo del Giocondo zu melden«, sagte einer der Gehilfen. »Er möchte Meister da Vinci sprechen.«
»Sag ihm, dass ich nicht…«
»Du kannst ihm doch nicht dauernd aus dem Weg gehen«, unterbrach ihn di Credi.
Irritiert legte Leonardo Palette und Pinsel beiseite. »Ein Grund mehr, Florenz den Rücken zu kehren.«
Giocondo ging ungeduldig am
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