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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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Eingang auf und ab, wo noch ein schmaler Streifen freien Raums geblieben war. Als er Leonardo sah, blieb er stehen.
    »Wie steht es mit dem Porträt von meiner Frau? Wird überhaupt je etwas daraus?«, polterte er statt einer Begrüßung.
    »Die Möglichkeit besteht.«
    »Die Möglichkeit besteht? Was soll das heißen?«
    »Genau das, was ich sage. Es besteht die Möglichkeit, dass noch etwas daraus wird.«
    »Ich möchte sehen, wie weit Sie jetzt sind!«
    »Ich fürchte, da muss ich Sie enttäuschen.«
    »Meister da Vinci, ich habe Ihnen einen Vorschuss gezahlt!«
    »In der Tat, einen nicht rückzahlbaren Vorschuss, wie ich ihn von jedem verlange, der mir nicht persönlich bekannt ist. Wird das Porträt nicht fertig, sparen Sie den Rest.«
    Giocondo funkelte Leonardo listig an. »Wäre es eventuell hilfreich, wenn ich meine Frau schickte?«
    »Hm, das wäre gewiss hilfreich. Aber nicht unbedingt, was die Beschleunigung der Arbeiten am Porträt betrifft.«
    »Meister da Vinci…« Giocondos Stimme wurde drohend. »Ich habe gute Beziehungen zur Signoria. Wollen Sie, dass ich gerichtlich gegen Sie vorgehe?«
    »Und ich habe gute Beziehungen zur Muse, mein lieber Herr Giocondo. Oder wollen Sie ein Porträt, das nach nichts aussieht?«
    »Du könntest dir großen Ärger einhandeln«, bemerkte di Credi besorgt, als Giocondo wutschnaubend gegangen war.
    »Ach, Giocondo ist doch nur ein Pfeffersack, der sich gern aufplustert.« Ein männliches Pendant zu Isabella d’Este, dachte er. Genauso penetrant, aber weniger raffiniert.
    »Warum machst du das Porträt nicht einfach fertig?«
    Leonardo seufzte enerviert. »Vielleicht sollte ich Salaì etwas aus dem alten Karton machen lassen.«
    »Das ist nicht dein Ernst.«
    »Er ist gar nicht so schlecht. Und es wäre nicht das erste Bild, das meinen Namen trägt, ohne dass ich je einen Pinselstrich daran getan hätte.«
    »Das wird sich Giocondo nicht gefallen lassen.«
    »Dann wird er sich mit dem Gouverneur von Mailand anlegen müssen.«
    »Du bist also wirklich entschlossen zu gehen?«
    Leonardo nickte. »Bald.«
    Graf Charles d’Amboise, Statthalter des französischen Königs und Gouverneur von Mailand, empfing Leonardo mit allen Ehren. Wie viele andere Machthaber liebte er es, sich an seinem Hof mit Künstlern zu umgeben. Leonardo genoss die Anerkennung, die ihm zuteil wurde. Und die Projekte, mit denen d’Amboise ihn zu betrauen gedachte, klangen vielversprechend – zumal keine Eile geboten war.

29

    Leonardo war durch die Wälder im Osten Mailands an den Lambro geritten. Kein langer Ritt, doch währenddessen war das Wetter umgeschlagen, und es regnete in Strömen, als er den Fluss erreichte. Da der Regen nicht kalt war und nur ein leichter Wind ging, machte ihm das aber nichts aus. Im Gegenteil, das Rauschen des Niederschlags hatte sogar etwas Beruhigendes. Vielleicht auch, weil der dichte Regenvorhang den Rest der Welt auszusperren schien.
    Leonardo band sein Pferd an einem Baum fest und spazierte am Schilfrand des träge dahinfließenden Lambro entlang. Die dicken Regentropfen schlugen Blasen auf der grauen Wasseroberfläche, und Leonardo spürte, wie die Nässe allmählich in seine Kleidung eindrang. Doch das kümmerte ihn nicht. Kein Wasser, kein Leben, sagte er immer. Manchmal beneidete er die Fische um ihr Element, in dem sie so wunderbar ihre Kapriolen schlagen konnten. So, wie er die Vögel darum beneidete, dass sie fliegen konnten.
    Ein Vogel ist eine Maschine, die nach mathematischen Gesetzen arbeitet. Es liegt in der Macht des Menschen, diese Maschine mit all ihren Bewegungen nachzubauen, aber nicht mit derselben Kraft. Einer solchen vom Menschen gebauten Maschine fehlt nur der Geist des Vogels, und dieser Geist muss durch den Geist des Menschen ersetzt werden.
    Leonardo blickte zum grauen Himmel empor. Regentropfen zerplatzten auf seinem Gesicht. Es waren keine Vögel zu sehen, aber sie waren zweifellos da. Vielleicht flogen sie hoch über den Regenwolken, wo sie trocken blieben und sich über die da unten am Boden lustig machen konnten, die sich durch den Schlamm mühten…
    Plötzlich entdeckte Leonardo zwei Schwäne auf dem Fluss, und er blieb stehen, um ihnen zuzuschauen. Ihre anmutigen Bewegungen, ihr schneeweißes Gefieder, von dem das Wasser abperlte, wie traut sie einander folgten in ihrer lebenslangen Verbundenheit. Und wenn sie sich aus dem Wasser erhoben, konnten sie mit mächtigem Flügelschlag davonfliegen…
    Seine Gedanken wanderten zur

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