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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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sagte er, während er eine Verbeugung vor ihr machte, als wäre sie eine Prinzessin.
    Darüber musste Ginevra lächeln. »Du bist also auch ein Künstler des Wortes«, konstatierte sie.
    »Worte sind ein höchst unzulängliches Mittel, um wiederzugeben, was die Sinne wahrnehmen.«
    »Aber du bist einer dieser begnadeten Männer, die über andere, vollkommenere Mittel verfügen, die Welt zu beschreiben. Habe ich das richtig verstanden?«
    »Ich versuche, mehr zu zeigen als nur das, was das normale Auge sehen kann.«
    »Das klingt vielversprechend«, sagte Ginevra ernst. »Und ich lese in deinem Blick genau das, was du in meinem Äußeren zu sehen behauptest.«
    Sie standen in einem riesigen Salon des Palazzo Medici. Giuliano hatte sie, gleich nachdem Leonardo sich vorgestellt hatte, wieder verlassen. Im Süden der Stadt rumorte es einmal mehr, und sein Bruder Lorenzo wollte mit ihm und seinen Beratern über Mittel und Wege nachdenken, diese fortwährenden Proteste der begüterten Bürger gegen die Regierung der Stadt ein für alle Mal zu unterbinden.
    »Ich würde dir gerne etwas anbieten, aber es scheint so, als sei im Moment kein Diener verfügbar«, sagte Ginevra.
    Leonardo winkte ab. »Ich muss ohnehin gehen, Gnädigste. Ich möchte Ihre Zeit nicht über Gebühr beanspruchen.«
    »Ich nehme an, dass Bernardo dann demnächst die verbindliche Bestellung des Porträts in die Wege leiten wird. Er wartet eigentlich nur noch auf mein Ja zur Wahl des Künstlers.« Ginevra bedachte Leonardo mit einem wohlgefälligen Blick aus ihren Katzenaugen. Bevor er den Raum verließ, legte sie die Hand auf seinen Arm. »Ich habe den David von Meister Verrocchio gesehen.« Sie lächelte vielsagend.
    »Oh, Verrocchio neigt dazu, seinen Modellen zu schmeicheln«, erwiderte Leonardo.
    »Ich würde sagen, dass er in diesem Fall lebensecht modelliert hat. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit.«
    Fürs Erste hörte Leonardo aber nichts mehr von Ginevra de’ Benci, und das war ihm eigentlich ganz recht, denn er wollte endlich ernsthaft an dem Gemälde arbeiten, das er im Geiste Die Madonna in der Felsengrotte nannte. Es ging weniger gut damit voran, als er erwartet hatte. Probleme bereitete ihm nach wie vor diese ganz besondere Atmosphäre, die ihn damals berührt hatte, als er Magdalena und ihre Kinder zum ersten Mal erblickte. Das Erlebnis war ihm zwar so lebhaft im Gedächtnis geblieben, als läge es erst wenige Tage zurück, doch die Formen und Farben auf seiner Tafel weigerten sich beharrlich, so zum Leben zu erwachen, wie er es anstrebte. Die Frustration über seine eigene Unfähigkeit wurde schließlich so groß, dass Leonardo die Anwandlung hatte, die Tafel zu Kleinholz zu machen und anzuzünden. Es war Verrocchio, der ihn davor bewahrte.
    »Das ist eine großartige Arbeit, Leonardo«, sagte er. »Die schönste, die du bisher gemacht hast, ja, ich würde beinahe sagen: die schönste, die je einer in dieser Werkstatt gemacht hat. Abgesehen von mir selbst natürlich.« Er grinste selbstironisch. »Was hast du denn bloß?«
    Leonardo biss sich auf die Unterlippe. »Meine Hand tut nicht, was mein Geist ihr befiehlt…«
    »Ein ewiges Problem. Der Geist ist nun mal um ein Vielfaches wendiger als die Hand.«
    »Hm…«, Leonardo trat ein paar Schritte zurück und betrachtete sein Werk mit forschend zusammengekniffenen Augen. »Es ist tot, eine leblose Imitation der Wirklichkeit. Und du weißt, was ich von Nachahmung halte.«
    »Es ist gut, ja sogar notwendig, kritisch gegen sich selbst zu sein. Aber das hat Grenzen, Leonardo.«
    »Derlei Grenzen sind doch nichts anderes als imaginäre Mauern, die man um sich herum aufbaut.«
    »Das ist doch das reinste Trauerbild«, sagte Vannucci, der mitgehört hatte. »Allerhöchstens als Grabschmuck tauglich. Du musst ja Unmengen von Farbe draufgeschmiert haben, dass es so dunkel geworden ist.« Er beugte sich näher über die Tafel, als sei ihm ein Verdacht gekommen. »Wer ist diese Frau? Die habe ich doch schon einmal gesehen!?«
    »Ach, das glaubst du also bei aller Dunkelheit dennoch erkennen zu können?«
    Vannucci schnaubte. »Wenn das eine nächtliche Szene darstellen soll, wo kommt dann das bisschen Licht her? Es sind ja gar keine Kerzen oder Lampen zu sehen.«
    »Bei der Dunkelheit, die in deinem Hirn vorherrscht, dürfte das für dich in der Tat schwer ersichtlich sein«, entgegnete Leonardo. »Von Helldunkeleffekten, chiaroscuro , hast du natürlich keine Ahnung.«
    »Ich bitte euch!«,

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