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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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taugt?«
    »Ich hoffe aber, noch häufiger Aufträge aus den höheren Kreisen zu bekommen, Gnädigste.«
    Darüber musste sie kichern. »Du kannst mich ruhig Ginevra nennen«, sagte sie.
    »Ginevra, so, wie du bist, habe ich mir immer die Göttin Venus vorgestellt: Inbegriff der Liebesmacht, die den menschlichen Geist vergöttlicht.«
    »Du redest wie Ficino. Ihr würdet euch bestimmt gut verstehen. Ich muss euch unbedingt miteinander bekannt machen.«
    »Ich bin kein Philosoph, Ginevra. Und meine Qualitäten als Dichter sind, wie ich ja bereits sagte, begrenzt.«
    »Aber wenn du mich mit der Göttin Venus gleichsetzt, ziehst du schon ein sehr hohes Register.«
    »Damit folge ich nur dem Auftrag von Bernardo Bembo. Das Gemälde solle ein Talisman für die philosophische Liebe werden.«
    »Und du verstehst genau, was er damit meint?«
    Leonardos Hand stockte erneut und blieb über dem Papier in der Schwebe. Schließlich sagte er, den Blick von Ginevra abgewandt: »Vielleicht besser als irgendwer…«
    »Obwohl du behauptest, kein Philosoph zu sein?«
    »Künstlerische Empfindungen mögen vielleicht hin und wieder Berührungen mit der Philosophie haben, aber sie sind nicht dasselbe.«
    »Ach, Leonardo, Worte, Worte, Worte…« Ginevra klang auf einmal etwas enerviert.
    »Du hast recht, deswegen sind wir nicht hier. Es tut mir leid.« Leonardo zeichnete weiter, mit weit ausholenden Bewegungen seiner Hand, als dirigierte er ein Musikstück.
    »Das wollte ich damit nicht sagen. Ich unterhalte mich gerne mit dir. Ich meinte nur, dass Worte…« Ginevra zögerte.
    »…ein unzulängliches Mittel sind, um seinen Gedanken Gestalt zu verleihen«, ergänzte Leonardo. »Ich habe mich schon des Öfteren auf ähnliche Weise beklagt. In der Schule wurde ich sogar einmal dafür bestraft, weil mein Lehrer sich beleidigt fühlte.«
    »Du bist doch aber bestimmt ein guter Schüler gewesen.«
    »Nur, wenn mir gerade danach war, und das kam nicht so häufig vor. Fragen, nach deren Beantwortung ich dürstete, weil sie in der Natur unbeantwortet blieben, konnte ich in der Schule nicht stellen. Und Fragen zur Mathematik gingen über den Horizont der Lehrer. Ich blieb immer auf meinem Wissensdurst sitzen.«
    »Ein Maler, der sich für Mathematik interessiert?«
    Leonardo nickte. »Ich weiß auch nicht, warum. Obgleich, es gibt einen direkten Zusammenhang. Das Gesicht, ja der gesamte menschliche Körper ist ein Konglomerat aus geometrischen Figuren. Und wahre Schönheit wie die deine ergibt sich zu einem nicht unerheblichen Teil durch die Ausgewogenheit zwischen diesen geometrischen Figuren.«
    »Leonardo…« Ginevra atmete tief durch die Nase ein. »Ob du nun willst oder nicht: Du musst in Ficinos Akademie eingeführt werden.«
    Er nickte ergeben. »Ist dir je ein Mensch begegnet, der dir etwas abschlagen konnte?«

8

    Es war noch recht früh, als Leonardo den Palazzo Medici verließ, die Sonne war noch nicht einmal untergegangen. Ein Diener hatte ihn höflich, aber bestimmt ersucht zu gehen, da hohe Gäste erwartet wurden. Ginevra hatte keinen Versuch unternommen, Einwände dagegen zu erheben.
    Leonardo war in einer eigentümlichen Stimmung und beschloss, ein Stück am Arno entlangzuschlendern. Es war ein trüber, nasskalter Märztag, und man sah kaum andere Spaziergänger. Nach den heftigen Schauern der vergangenen Tage war der Pegel des Flusses stark angestiegen, hatte aber noch nicht die Marke erreicht, da die Vacca und die anderen Glocken von Florenz Alarm läuten würden.
    Leonardos Gemütszustand hatte allerdings weniger mit dem Wetter zu tun. Vielmehr hatte sich nach seiner Sitzung mit Ginevra bei ihm das Gefühl eingestellt, dass er den Anforderungen nicht gerecht werden konnte, dass man etwas von ihm erwartete, was nicht zu erfüllen war, dass man ihm Qualitäten zuschrieb, über die er nicht verfügte, dass er zwar vieles konnte, aber in nichts wirklich herausragend war. Dieses Gefühl war nicht neu, aber er hatte es noch nie so vehement verspürt wie jetzt.
    Das hatte zumindest zu einem Teil mit Ginevra zu tun, wie ihm jetzt aufging. Sie war so engelsgleich und der Vollkommenheit so nah, dass er sich fragte, ob er je ein Porträt würde malen können, das ihrer schwer fassbaren, ätherischen Schönheit gerecht wurde. Und mit Magdalena in der Felsengrotte am Vincio war es ihm ja auch schon so gegangen, dass er die im Geist bewahrte Szene nicht so wiedergeben konnte, dass es ihn auch nur annähernd zufriedengestellt hätte.
    Er

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