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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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ermahnte sie Verrocchio vorwurfsvoll. »Hört das Gezänk zwischen euch denn nie auf?«
    »Irgendwer hat einmal gesagt, dass der Lärm um uns herum ohrenbetäubend wäre, wenn Missgunst Geräusche machte«, sagte Leonardo. »Und es fällt auf, dass es hier nie richtig still ist.«
    »Das wird wohl vor allem daran liegen, dass du den Mund immer so voll nimmst!«, schimpfte Vannucci.
    Verrocchio öffnete schon den Mund, um erneut einzuschreiten, doch bevor er oder Leonardo etwas erwidern konnten, rauschte Vannucci hinaus. »Du wirst schon noch sehen«, drohte er Leonardo, bevor er die Tür mit einer Wucht hinter sich zuschlug, dass es in der ganzen Werkstatt schepperte.
    »Ich könnte mir vorstellen, dass es etwas mit seiner Vergangenheit zu tun hat«, sagte Giovanni Racanato. »Seine Eltern sind einst durch einen reichen Notar, wie es ja auch dein Vater ist, um Haus und Hof gebracht worden. Und die Leute aus Perugia sind nun einmal nachtragend. Nur gut, dass er sich immer verzieht, wenn es ihm zu viel wird.«
    »Das Licht ist wirklich nicht gut«, sagte Leonardo, der offenbar nicht zugehört hatte. Er sah plötzlich müde aus. »Vielleicht sollte ich besser noch einmal ganz von vorne anfangen. Irgendwann…«
    Verrocchio fiel ihm ins Wort: »Ich habe im Handumdrehen einen Käufer dafür.«
    Leonardo schüttelte den Kopf. »Ich möchte es nicht verkaufen. Ich hänge es in meinem Zimmer auf, bis ich genau weiß, wo der Fehler liegt.«
    Verrocchio sagte nichts weiter. Er hatte es längst aufgegeben, Leonardo beeinflussen zu wollen.
    Der definitive Auftrag, das Porträt von Ginevra de’ Benci zu malen, traf nebst einem großzügigen Vorschuss einige Wochen später ein.
    Leonardo wurde im Palazzo Medici ein großer, heller Raum zur Verfügung gestellt, in dem er ungestört und in aller Diskretion arbeiten konnte. Ganz gegen seine Gewohnheit schob er die Sache nicht hinaus, sondern traf sofort seine Vorbereitungen.
    Bei der ersten Sitzung dauerte es zunächst ein wenig, bis beide, Maler und Modell, etwas auftauten. Ginevra nahm schnurstracks auf dem Stuhl am Fenster Platz, den Leonardo ihr anwies, starrte dann aber ausdruckslos auf den Innenhof des Palazzo hinaus, wo ein Kommen und Gehen von Reitern und Wagen herrschte.
    Leicht verunsichert studierte Leonardo Ginevras ebenmäßiges Profil mit der edlen Nase und dem leicht erhobenen Kinn, das einen Hauch von Hochmut andeutete. Sie schien sich ihrer Schönheit und deren Wirkung auf andere nur zu sehr bewusst zu sein. Da ihre Züge aber von tanzenden hellblonden Löckchen eingerahmt wurden, war der Gesamteindruck gewollt oder ungewollt eher fröhlich-heiter.
    Leonardos Verunsicherung verflog wie durch Zauberhand, sowie er seinen Silberstift auf das Papier setzte und in einer einzigen fließenden Bewegung den Umriss ihrer rechten Gesichtshälfte und den Ansatz ihrer schönen Halslinie zeichnete. Es war, als flösse ihre Schönheit geradewegs in seine Hand; er konnte sie zeichnen, ohne die Augen von ihr abzuwenden.
    »Du bist Linkshänder«, bemerkte Ginevra in neutralem Ton.
    »Ich benutze die Hand, die meinem Herzen am nächsten ist.«
    Jetzt lächelte sie. »Hast du schon einmal daran gedacht, Gedichte zu schreiben?«
    Er zögerte kurz. »Doch, ja, ich versuche es hin und wieder…«
    »Und?«
    »Mir scheinen nur törichte Reime und Liedzeilen zu gelingen.«
    »Liedzeilen?« Sie zog die eine ihrer elegant geschwungenen Augenbrauen hoch. »Bist du etwa auch Musiker?«
    »So kann man es kaum nennen. Ich fiedle ein bisschen auf der Lira und versuche Texte dazu zu brummen, mehr nicht.« Seine Hand stockte, als Ginevra ihn mit ihren hellbraunen Augen fixierte.
    Vorwurfsvoll fragte sie: »Warum machst du dich so klein? Andere Männer werfen sich in die Brust und versuchen sich den Anschein zu geben, als könnten sie mit einem Fingerschnippen die halbe Welt erobern.«
    »Was soll ich darauf antworten? Ich bin, der ich bin.«
    Ginevra nickte langsam, als habe sie ihn durchschaut. »Es ist ein Trick, nicht? Du überlässt es den anderen, deine Qualitäten zu entdecken, und auf die Weise erntest du weit größere Hochachtung.«
    »Ich benutze keine Tricks. Auch wenn einige sie mir beizubringen versuchen.«
    »Hm, vielleicht sollte ich mein Urteil über dich besser vertagen, bis du mein Porträt vollendet hast.«
    »Jetzt bürden Sie mir aber eine sehr schwere Last auf.«
    »Wieso? Du bist doch, der du bist, oder? Was macht es denn da aus, wenn das Porträt, das du lieferst, nichts

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