Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
Vom Netzwerk:
Kindern, was hat es da für einen Sinn, seine Geburtstage zu zählen?«
    »Welche Weisheit!«
    Da war es wieder, dieses spöttische Blitzen in Magdalenas Augen. »Ich wünschte, du wärst meine Mutter.« Erst als er es sich selbst sagen hörte, wurde Leonardo bewusst, was ihm da herausgerutscht war.
    Magdalena schien aber nur verdutzt zu sein. »Ob meine Kinder auch so denken, wage ich zu bezweifeln. Ich bin nicht so umgänglich, wie du offenbar glaubst.« Sie zog einen Stuhl heran und setzte sich neben Leonardo, das Gesicht ihm zugewandt, damit sie ihn ansehen konnte. »Hast du etwa keine Mutter mehr?«
    Er zögerte kurz, bevor er antwortete: »Darüber möchte ich lieber nicht sprechen…«
    »Du bist doch aber keine Waise, oder?«
    Er schüttelte langsam den Kopf. »Nicht wirklich, nein…« Leonardo war erleichtert, als in diesem Moment das Glöckchen der Ladentür ertönte.
    Adda betrat das Zimmer, am linken Arm einen Korb mit Einkäufen. »Schau an, der große Meister höchstpersönlich«, konstatierte sie. Sie legte kurz die Hand auf seine Schulter, während sie in die Küche weiterging.
    »Man hört viel Klatsch und Tratsch in Florenz«, sagte Magdalena, als sie Leonardos Gesicht sah. »Zumal, wenn man einen Laden hat. Deine Heldentaten auf dem Dom, der Mantel, den du für Lorenzo de’ Medici entworfen hast…«
    »Und der David nicht zu vergessen«, sagte Adda, die aus der Küche zurückkam. »Alle jungen Mädchen der Stadt haben ihn sich schon angeschaut.« Sie lächelte Leonardo schelmisch an. Dann warf sie einen Blick auf die Utensilien, die er an der Wand abgestellt hatte. »Willst du uns nun also doch verewigen?«
    »Ich hatte es mir nie aus dem Kopf geschlagen.«
    »Meine Brüder kommen erst später nach Hause.«
    »Die sind inzwischen bestimmt schon zu groß für das, was mir vorschwebt. Ich werde sie mir aus der Erinnerung vergegenwärtigen müssen.«
    »Das wird interessant«, meinte Magdalena. Diesmal war nicht erkennbar, ob sie spottete oder nicht.
    Leonardo erhob sich. »Ich habe später noch einen Termin. Wollen wir uns dann an die Arbeit machen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, griff er zu seinen Zeichensachen.
    Leonardos späterer Termin führte ihn geradewegs in den Palazzo Medici. Über Verrocchio hatte Giuliano de’ Medici ein Porträt in Auftrag gegeben.
    »Es handelt sich um eine ausgesprochen interessante Dame, deren noble Züge du verewigen sollst«, hatte Verrocchio ihm dazu verraten. »Sagt dir der Name Ginevra de’ Benci etwas?«
    »Nicht direkt, nein.«
    »Sie ist die Tochter von Amerigo de’ Benci, dem Leiter der Medici-Bank in Genf. Und damit gehört sie der reichsten Familie von Florenz an – der reichsten nach den Medici selbst natürlich.«
    » Dimmi , warum soll ausgerechnet ich ihr Porträt malen?«
    »Der eigentliche Auftraggeber ist ihr Liebhaber, ein gewisser Bernardo Bembo, ein venezianischer Diplomat von zweifelhaftem Ruf, vor allem im Hinblick auf Frauen. Vielleicht verzichtet er der Diskretion zuliebe auf die ganz großen Namen.«
    »Die Dame ist also verheiratet?«
    »Natürlich, eine Frau von so außergewöhnlicher Schönheit bleibt nie allein. Ihr Mann ist Luigi Niccolini, ein auch nicht eben armer Tuchhändler. Sie war gerade einmal sechzehn, als sie mit ihm verheiratet wurde.«
    »Das hört sich ja alles höchst interessant an.«
    »Warte, bis du Ginevra gesehen hast. Man sagt, sie sei die schönste Frau von Florenz, und das könnte durchaus zutreffen. Zumindest, soweit ich die Schönheit einer Frau nach rein ästhetischen Kriterien beurteilen kann.«
    »Aber was hat denn nun eigentlich Giuliano de’ Medici mit alldem zu tun?«
    »Giuliano und Bembo verstehen sich offenbar bestens, als gleichgesinnte Freunde des Lasters, um es einmal so auszudrücken. Und was im Palazzo Medici passiert, dringt nur selten nach außen. Das auch gleich als Warnung an dich: Indiskretion kann dich in einem Fall wie diesem den Kopf kosten.«
    Was Ginevra de’ Benci betraf, hatte Verrocchio nicht übertrieben. Sie war schon fast überirdisch schön. Leonardo war so überwältigt, dass ihn zugleich eine gewisse Mutlosigkeit befiel. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er jemals imstande sein würde, eine so perfekte Schöpfung der Natur mit so unvollkommenen Hilfsmitteln wie einer Holztafel und Farbe auch nur annähernd wiederzugeben.
    »Wenn es stimmt, dass äußere, körperliche Schönheit ein Abbild der inneren, geistigen Tugend ist, können Sie nur ein himmlisches Wesen sein«,

Weitere Kostenlose Bücher