Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
Vom Netzwerk:
haben mir gefehlt«, sagte er zu Vannucci.
    »Wie bitte?«
    »Nichts ist so erfrischend wie jemand, der unverhohlen seine Meinung sagt, ganz im Gegensatz zu…« Leonardo zögerte kurz. »Ich muss mich noch bei dir entschuldigen«, sagte er dann.
    »Versuchst du jetzt, mich…«
    »Ich habe dich eine Zeitlang zu Unrecht gewisser Hintertriebenheiten verdächtigt. Da war ich wohl blind vor Wut. Aber das dürftest du gewiss kennen und verstehen.«
    »Ich weiß gar nicht, wovon…«
    »Hast du keine Lust, bei mir zu arbeiten?«
    »Was heckst du denn jetzt wieder aus?«
    »Dein Honorar müsste natürlich etwas niedriger ausfallen, und ich kann dir auch vorerst nicht garantieren, dass du ausreichend zu arbeiten hättest, aber dafür kämst du weiterhin täglich in den Genuss unserer stimulierenden Streitgespräche.«
    Vannucci sah Adda an. »Was hast du ihm zu trinken gegeben?«
    »Meister Leonardos Verhalten ist auch mir häufig ein Rätsel«, antwortete Adda.
    »Was du von dir gibst, hat zwar selten Hand und Fuß«, sagte Leonardo zu Vannucci, »aber du bist ein verdammt guter Maler, und deine Besonderheiten passen gut zu den meinigen. Du könntest meine Arbeiten hervorragend ergänzen.«
    »Ich deine Arbeiten ergänzen?« Vannucci brauste erneut auf. »Für wen hältst du dich eigentlich? Du bist nicht mehr als ein verdammter Anfänger!«
    »Aber einer mit seiner eigenen bottega «, bemerkte Leonardo süffisant. »Mein Angebot steht, Meister Vannucci. Doch nur unter der Voraussetzung, dass du dir deine Schmähreden nicht abgewöhnst.«
    Vannucci wandte sich darauf ruckartig um und marschierte in der ihm eigenen geharnischten Art zur Tür. »Das muss ich mir nicht länger anhören.«
    »Und was meine Absichten in Bezug auf unsere liebe Adda betrifft, ganz Florenz weiß doch inzwischen, dass ich es mit Männern halte, da brauchst du dir also keine Sorgen zu machen.«
    Vannucci lachte hämisch. »Faule Tricks. Als wenn ich darauf hereinfallen würde!« Er ging hinaus und zog die Tür so heftig hinter sich zu, dass die Schaufensterscheiben klirrten.
    »Oje, das war kein sehr erbaulicher Auftritt«, sagte Adda. »War das nun einfach nur Boshaftigkeit, oder steckte mehr dahinter?«
    »Boshaftigkeit? Wo denkst du hin!«, antwortete Leonardo betont ernst. »Meister Vannucci ist ganz vernarrt in mich, er weiß es nur noch nicht.« Er schaute zu den gefüllten Regalen hinter Adda. »Wollen wir uns dann jetzt einmal den Töpfen zuwenden?«
    Das Haus, das Leonardo unweit von Verrocchios Werkstatt gemietet hatte, war recht hoch, und ein Teil des Daches war abgeflacht. Das brachte ihn auf eine kühne Idee. Er legte Paolo eine Zeichnung vor, die er nach seiner Arbeit an der Domkuppel angefertigt hatte.
    Paolo betrachtete sie verwundert. »Was ist denn das für ein fremdartiger Vogel?«
    »Ein Vogel, den ich bauen möchte, um vielleicht selbst damit zu fliegen. Beziehungsweise zu segeln, denn um wirklich zu fliegen, müsste man die Flügel mit ausreichender Kraft und auf die richtige Weise bewegen können, und so etwas vermag ich noch lange nicht zu entwerfen.«
    »Aber… Angenommen, so ein Ding könnte tatsächlich segeln, dazu muss man es doch zuerst einmal in die Luft bekommen!«
    »Oder aufs Dach.« Leonardo deutete mit dem Zeigefinger an die Decke. »Wenn wir die Flugmaschine in Teilen bauen, die wir dann auf dem Dach zusammensetzen…« Er überlegte kurz. »Wir brauchen eine Art Rutsche, auf der wir sie vom Dach schieben können…«
    »Und was, wenn du einfach runterfällst?«
    »Dann ist das Experiment gescheitert.«
    »Und du bist tot!«
    Leonardo nickte. »Die Möglichkeit habe ich erwogen.«
    »Ach?«, fragte der andere sarkastisch.
    Leonardo schaute nachdenklich zu Paolo auf. Der Bursche war noch keine zwanzig, aber geistig war er reifer, als es sein mädchenhaftes Aussehen vermuten ließ. Das hatte sicher auch mit seinem mehrmonatigen Verbleib im Gefängnis von Bologna zu tun, wo man ihn wegen seines »lasterhaften Lebenswandels in Florenz« eingesperrt hatte. So wirkte sich Gefangenschaft auf einen jungen Menschen aus: Im Nu war die Jugend dahin.
    Leonardo hatte Paolo in Pistoia kennengelernt, wo der Junge mit anderen Künstlern an der Fertigstellung einer mit Marketerie verzierten Wand des Doms gearbeitet hatte. Leonardo hatte sogleich eine Art Seelenverwandtschaft mit Paolo empfunden, der wie er auf der Flucht vor einem peinigenden Schatten in seinem Leben zu sein schien. Einem Schatten, vor dem ihn auch seine

Weitere Kostenlose Bücher