Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
schönen Cecilia.
Der Reiz lag wohl im Gegensatz, so seine Vermutung, als er Beatrice d’Este erstmals gegenüberstand. Während Cecilia Gallerani eher eine in sich ruhende Schönheit gewesen war, sprudelte Beatrice d’Este vor Lebendigkeit. Sie kam ihm vor wie ein Kind, das mit Begeisterung seilspringen konnte. Tatsächlich nahm sie auch gern an allerei Spielen und sportlichen Aktivitäten teil und liebte es, Feste zu feiern. Als Leonardo einmal erwähnte, dass er die lira da braccio spiele und selbst komponiere, musste er sofort sein Instrument hervorholen, um Beatrice etwas vorzuspielen. Und als er ein fröhliches Lied anstimmte, begann sie prompt dazu zu tanzen. Aber sie war auch sonst vielseitig interessiert. Wirklich schön war sie nicht und zudem etwas mollig, doch dank ihrer Lebensfreude und Energie empfand man das keineswegs als Makel.
»Als schaute ich in den Spiegel«, sagte sie, als ihr Porträt vollendet war, und schickte schalkhaft hinterher: »Aber warum haben Sie mich nicht ein wenig hübscher gemacht, Meister da Vinci? Ist das denn nicht üblich?«
»Ich habe versucht, Eure innere Schönheit darzustellen«, erwiderte Leonardo. »Sie erscheint mir viel wichtiger als das Äußere. Euer Gemahl wird beurteilen müssen, ob mir das gelungen ist. Der Porträtierte selbst kann das unmöglich sehen.«
»Meine innere Schönheit? Das hört sich gut an, aber was soll ich mir darunter vorstellen?«
»Dass Ihr eine ausgesprochen fesselnde Persönlichkeit habt. Gegen Euch nimmt sich das, was man gemeinhin für schön hält, geradezu banal aus.«
Beatrice nickte. »Man hatte mich schon gewarnt, dass Sie sehr gut mit Worten umzugehen wissen. Das dürfte der Eitelkeit Ihrer Kundinnen sehr schmeicheln.«
»Nicht nur der Kundinnen«, antwortete Leonardo ernst.
Beatrice kicherte. »Ja, natürlich, auch die Männerwelt kennt ihre Eitelkeiten. Ich kenne da zum Beispiel einen, der rosenrote Röcke trägt.«
Beatrice nahm wirklich kein Blatt vor den Mund. Leonardo fühlte sich zu einer Rechtfertigung veranlasst:
»Als junger Mann war ich überhaupt nicht eitel. Im Gegenteil, ich machte mich möglichst unsichtbar.«
»Bis Ihnen ein Mädchen gesagt hat, dass Sie schön sind wie ein griechischer Gott?«
»Das hat mir ein Mann gesagt, ein Bildhauer. Er benötigte ein Modell.«
»Na bitte!« Beatrice ließ ein gurrendes Lachen erklingen.
»Aber das ist schon sehr lange her.«
Das erhoffte Kompliment blieb aus. »Ich muss langsam gehen«, sagte Beatrice. »Hoffentlich ist meine Eskorte noch nicht eingeschlafen.«
»Eure Gesellschaft wird mir fehlen«, sagte Leonardo. »Oder darf ich das nicht sagen?«
»Sie dürfen alles sagen, solange es mir gefällt.«
»Sowie der Firnis getrocknet ist, werde ich das Porträt persönlich ins Schloss bringen. Ich habe noch etwas mit Eurem Gemahl zu besprechen.«
17
Es war ein lebhaftes Gedränge auf dem Markt. Das mochte an dem außergewöhnlich schönen Herbsttag liegen, hatte aber gewiss auch mit den beiden Theatergesellschaften zu tun, die sich hier mit ihren geistreichen Stücken gegenseitig überboten. Die stetig anwachsende Zuschauermenge begann die Markthändler schon zu verdrießen, zumal sie ihrer Kundschaft den Weg verstellte.
Leonardo stand inmitten der Menge und schaute eine Weile amüsiert bei einer der Aufführungen zu. Das Stück handelte von einem gehörnten Ehemann, der von seiner Frau so listig mit dem Knecht betrogen wurde, dass sie ihn dem allseitigen Gespött preisgab, ohne dass er selbst begriff, warum.
Leonardo hatte Mathurina versprochen, ein paar Besorgungen für sie zu machen, während er seinem Bedürfnis nachging, sich wieder einmal unter die Leute zu mischen und von den vielen Charakterköpfen und Originalen, die man immer auf dem Markt zu sehen bekam, inspirieren zu lassen. Was seinen Bummel diesmal besonders interessant machte, waren die in einer großen Gruppe nach Mailand gekommenen Zigeuner. Wenn er auch selbst nicht viel vom Reisen hielt, so hegte er doch Bewunderung für Menschen, die ihr Leben lang umherzogen und dabei vielleicht die wundersamsten Dinge zu sehen bekamen. Er nahm an, dass sie dadurch anders waren als andere. Und nachdem er einige von ihnen im Publikum gesehen hatte, fand er, dass sie das in der Tat ausstrahlten. Als hätten die Eindrücke von Szenen und Landschaften Furchen in ihre wettergegerbten Gesichter gezogen, die sie von den Städtern, die sich kaum einmal vor die Tore Mailands wagten, unterschieden. Auch ihr
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