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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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dargestellten Positionen illustriert.«
    »Worauf willst du eigentlich hinaus?«
    »Darauf, dass die Proportionen des menschlichen Körpers, wie Vitruvius schon vor so langer Zeit festgestellt hat, durchaus mathematischen Gesetzmäßigkeiten gehorchen. Und dessen sollte sich jeder bildende Künstler bewusst sein.«
    »Das heißt, ich genüge wieder einmal nicht den Anforderungen, wenn ich es recht verstehe?«
    »Nicht unbedingt. Womöglich bist du dir dieser Gesetzmäßigkeiten bewusst, ohne es selbst zu wissen. Mir sind bei deinen Arbeiten jedenfalls noch keine Missverhältnisse aufgefallen.«
    »Da bin ich aber erleichtert«, erwiderte Zoroastro zynisch. Er leerte seinen Bierkrug und erhob sich, um ihn noch einmal zu füllen.
…Das Geld, das ich auf die Seite gelegt hatte, um Kleider für ihn zu kaufen, stahl er mir, sosehr er es auch abstreitet. Vier Lire.
Während eines Abendessens bei Giacomo Andrea benahm er sich ungebührlich: Er aß wie ein Vielfraß, zerbrach Gläser und stieß eine Karaffe Wein auf dem Tisch um.
Anfang September habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie er hier im Haus einen Silberstift entwendete. Zwanzig Soldi.
Er entwendete zudem zwei Lire und vier Soldi aus dem Beutel eines Hausangestellten des Herrn Galeazzo da Sanseverino, als wir dort an der Ausstattung eines Turniers arbeiteten.
Des Weiteren entwendete er ein Stück Leder, das ich für die Anfertigung eines Paars Stiefel geschenkt bekommen hatte. Er gestand mir, dass er das Leder verkauft habe, um sich für das Geld Süßigkeiten zu kaufen.
Trotz dieser und anderer Unartigkeiten hat Giacomo unleugbare Qualitäten und fehlt es ihm gewiss nicht an Talent dafür, ein guter Maler zu werden. Unter der Voraussetzung, dass Sie weiterhin für alle Kosten aufkommen, die durch Ihren Sohn verursacht werden, würde ich Giacomo also gern in meinen Diensten behalten.
    Leonardo las den Brief, den er in leserlicher Schrift aufgesetzt hatte, noch einmal durch. Dann fügte er eine Höflichkeitsfloskel unten an und faltete den Brief, um ihn zu versiegeln.
    Wenngleich Salaì also alles andere als vertrauenswürdig war und auch von allen als Dieb, Dickschädel, Lügner und Fresssack betrachtet wurde, schätzte Leonardo seine Gegenwart sehr. Der hübsche Bursche rührte ihn und machte ihm oft Spaß, und außerdem richtete er ja keinen Schaden an, da sein Vater, der wohl froh war, dass er den Taugenichts aus dem Haus hatte, für alles aufkam. Leonardo konnte sich bestens damit arrangieren, was immer Zoroastro und einige andere auch darüber denken mochten.
    Er adressierte den Brief und ließ ihn zu einem Kurier bringen. Aber nicht von Salaì, der ihn mit Sicherheit öffnen und lesen würde – ein Gedanke, der Leonardo eher leise schmunzeln ließ, als dass er ihn erzürnte.
    Er schaute einen Moment nachdenklich durch das Fenster seines Arbeitszimmers auf die Aktivitäten in der großen Halle hinaus und setzte sich dann wieder an seinen Schreibtisch. Als er schon seine Studien der Proportionen des menschlichen Körpers fortsetzen wollte, fiel sein Blick auf die zarte Zeichnung von einem fliegenden Milan, die er an der gegenüberliegenden Wand aufgehängt hatte, und seine Gedanken schweiften ab. Fliegen zu können war ein Traum, den er seit vielen Jahren hegte. Er hatte inzwischen diverse, immer weiter entwickelte Entwürfe von Flugkörpern angefertigt, mit denen es einem Menschen gelingen müsste, sich in die Lüfte zu erheben. Eingedenk des abgeblasenen Versuchs in Florenz hatte er sich auf Mechanismen verlegt, bei denen die Flügel durch menschliche Muskelkraft bewegt werden konnten, um so den Flug eines Vogels nachzuahmen.
    Es wird vielleicht Zeit, wieder etwas zu bauen, dachte Leonardo mit neuem Elan. In der Halle war noch genügend Platz dafür. Und anschließend könnten sie die Flugmaschine auf einem der Dächer der Corte Vecchia zusammensetzen und von dort einen Probeflug machen. Niemand würde sie dort beobachten können, und in dem großen Garten war reichlich Raum für die Landung. Es sei denn natürlich, die Maschine flog zu hoch hinaus und driftete zu weit ab. Aber in dem Fall wäre das Experiment ein großer Erfolg, den er nicht zu verbergen bräuchte…
    Leonardo zog eine der Schubladen seines Schreibtischs auf und nahm einen Stapel Zeichnungen von Flugmaschinen heraus.
    In diese Zeit fiel nun auch der Auftrag von Ludovico Sforza für ein Bild von seiner jungen Braut Beatrice. Leonardo war neugierig auf den Vergleich zwischen ihr und der

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