Der Maler Gottes
hilft, doch Freundschaft mehr.‹ Ich sitze hier zwischen ihnen, stoße mit ihnen an, singe Lieder von Freundschaft und bin doch mit ganzer Seele fremd und einsam unter ihnen. Habe weder Freunde noch Sippe. Vielleicht wäre mir wohler, wenn ich auch etwas zum Erzählen hätte. Doch was? Ich habe nichts, womit ich sie beeindrucken könnte. Würde es gern und wäre mir selbst nur fremder dadurch.
»Einen Krug auf die Freundschaft! Füllt die Gefäße, hoch die Becher! Hey, Franz, erzähl noch einmal die Geschichte, wie du der geizigen Bäckerin die Brezeln aus dem Korb geredet hast!«
Weiß Gott, wie sehr ich wünsche, auch eine Geschichte erzählen zu können. Warum tue ich mich nur so schwer? Die Schatten, die sie beim Erzählen mit geöffneten Armen an die Wände werfen, sehen wie Kreuze aus. »Ich sagte ihr einfach: >Schöne Bäckerin, der schwere Korb zieht Euch die Schulter herab, so dass man meinen könnte, Ihr habt einen garstigen Buckel. Gebt mir zwei Brezeln, dann habt Ihr’s leichter und seid wieder so grad gewachsen wie eine junge Birke.<«
»Hey, Frau Wirtin! Einen neuen Becher für meinen Freund Franz, den Teufelskerl!«
Widerlich, dieses Lallen und Schulterklopfen, dieses Prahlen und die derben Lieder. Und trotzdem, mich hat noch niemand einen Teufelskerl geheißen. Auch wenn das Wort wie ein Faustschlag gegen eine dumpfe Stirn tönt, ich ließ mich gerne so nennen. »Ja, Matthias, jetzt nimm den Würfelbecher, du bist dran.« Wer die höchste Zahl würfelt! Das ist kein Spiel, das ist Zufall nur, und doch schafft es Gemeinsamkeit. Ach, wenn es mir doch gelänge, mit einer winzigen Drehung des Handgelenks zum Freund zu werden. »Drei mal sechs Augen! Einen neuen Krug für den ganzen Tisch! Auf den Gewinner! Er lebe hoch!« Ein Spiel, ein Possenspiel. Ich tauge nicht zum Narren und mache mich doch selbst dazu. Matthias nimmt den Becher, der ihm gereicht wird, und trinkt ihn in einem Zuge aus. Sofort wird er wieder gefüllt, und wieder leert er ihn bis zur Neige. Noch sitzt er zwar am Ende der Bank, doch will er sich jetzt fühlen, als säße er in der Mitte.
»Trink, Bruder, trink. So viele Augen, so viele Becher. Das ist der Brauch.«
»Ja, so ist’s der Brauch! Der Brauch, der Brauch…« Plötzlich beginnt die bierdunstige Schankstube sich zu drehen. Matthias fühlt, wie das Dünnbier essigsauer und brennend seinen Weg zurück aus dem Magen in die Kehle findet. Schon ist der ganze Mund voll, er will schlucken, er schluckt, schluckt, plötzlich aber öffnet er den Mund, reißt ihn ganz weit auf und würgt alles heraus, was ihm seit Wochen schwer im Magen liegt. Dann wird ihm schwindlig, er will sich an der Bank festhalten, doch er fällt und fällt und fällt und hört im Fallen nur das dröhnende Gelächter der anderen.
Die anderen helfen ihm auf, klopfen ihm auf die Schulter. Ihm ist speiübel, allein schon vom Geruch, und gleichzeitig ist ihm so wohl wie nie. Er ist aufgenommen, endlich aufgenommen und gehört dazu. Ja, bei Riemenschneider ist gut leben.
Monate später lässt Riemenschneider Matthias zu einem Gespräch unter vier Augen in sein Kontor kommen. Das Kontor, ein Raum mit einem Regal voller Vorlagen-und Skizzenbücher, einem Schreibtisch aus poliertem Holz, davor ein bequemer Stuhl und ein gepolsterter Schemel. Die Wände sind mit Buchenholz vertäfelt, die Fensterscheiben aus Butzenglas, auf dem Boden ein Teppich aus dem Orient. Hinter dem Schreibtisch Riemenschneider. Sein Gesicht, seine Haltung und besonders seine Kleidung sind Ausdruck des erfolgreichen, anerkannten Meisters, der über Macht, Vermögen und Einfluss verfügt. Riemenschneider ist noch in Straßenkleidung, die Kleidung, die er trägt, wenn ihn wichtige Geschäfte ins Rathaus rufen. Wie ein Patrizier sieht er aus in seinem Wollwams, der langen Jacke mit den pelzverbrämten Ärmeln und dem schwarzen Samtbarett auf dem Kopf. An seinem Gürtel hängt ein kostbares Messer und eine aufwendig gearbeitete Lederbörse. Die Beine stecken in Strumpfhosen, und an den Füßen trägt er teure, wadenhohe Lederstiefel. In den Händen hält er eine Rosenkranzkette aus seltenen Korallenperlen, in deren Mitte sich ein goldzieseliertes Aromabehältnis befindet, das gegen den Gestank auf den Straßen vor die Nase gehalten wird.
»Setzt Euch dort auf den Schemel, Matthias aus Grünberg, ich habe mit Euch zu reden.« Meister Riemenschneider öffnet die goldene, prunkvolle Spange, die seinen Pelzumhang zusammenhält. Umständlich
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