Der Maler Gottes
Riemenschneider nach seiner Tochter. »Schnell, lauf und hole einen Arzt, lauf zu Doktor Pinkas ins Judenviertel, nicht zum Arzt nebenan, und kein Wort über das, was hier passiert ist. Sag nur, dass er herkommen soll, der Judendoktor Pinkas, und zwar schnell.« Als Matthias die Pferde versorgt hat und zurück ins Haus geht, ist der Judendoktor gerade dabei, den Verletzten, der in einer der oberen Kammern liegt, zu versorgen. Die beiden anderen sitzen mit Riemenschneider in der Küche und stärken sich.
Auf einen Wink Riemenschneiders setzt sich Matthias dazu und sieht die Männer an, die das Essen ausgehungert in sich hineinschlingen.
Als sie fertig sind, fordert Riemenschneider: »Erzählt, was geschehen ist.«
Der eine wischt mit einer Brotscheibe die Schüssel aus, steckt sie in den Mund, räuspert sich und beginnt mit gepresster Stimme zu erzählen: »Der leibeigene Bauer Joos Fritz aus unserem Dorf Untergrombach bei Bruchsal hat Bauern, auch uns, unter dem Zeichen des Bundschuhs um sich geschart, um gegen den Bischof von Speyer vorzugehen. Unter dem Losungswort: Was ist nur für ein Wesen? – Wir können gegen den Pfaffen nicht genesen!, wollten wir fordern, die Obrigkeit und Herrschaft abzuschaffen, die geistlichen Güter aufzuteilen und sämtliche Abgaben und Zinsen aufzuheben. Wasser, Weideland und Wald sollten in Gemeindeeigentum übergehen, vor allem aber wollten wir die Abschaffung der Leibeigenschaft erreichen.« Der Fremde hält inne und nimmt einen kräftigen Schluck aus dem Becher. Matthias sieht, wie das Gespräch und besonders die Bilder der Erinnerung den Mann anstrengen. Der andere hat die Hände zu Fäusten geballt vor sich auf den Tisch gelegt. Er presst die Hände so fest zu Fäusten zusammen, dass die Fingerknöchel weiß hervortreten. »Kurz vor dem geplanten Aufstand wurde unsere Verschwörung verraten und aufgedeckt. Gut 100 Beteiligte, alles Bauern aus unserem Dorf und der nächsten Umgebung, junge, kräftige, aber auch alte Männer, wurden gefasst und festgesetzt, Einigen gelang die Flucht, so uns beiden. Tagelang hielten wir uns in den Wäldern versteckt, schlichen nur nachts ins Dorf, um uns nach dem Geschehen zu erkundigen. Zehn von uns wurden geköpft, gevierteilt und die geschändeten Körper zur Warnung an der Landstraße aufgehängt. Auch mein Vetter war dabei. Als die Frauen und Kinder kamen, um ihre Toten abzunehmen und zu begraben, wurden sie von den Häschern des Bischofs von dort weggeprügelt. Frauen und Kinder erhielten Peitschenschläge wie Hunde!!!« Der Mann erhebt beim letzten Satz die Stimme, schreit beinahe und verzieht das Gesicht unter der Qual der Erinnerung.
»Und zum Hohn der Toten stellten sich die Schergen vor die Leichen, öffneten die Hosenlätze und pissten die Leichen an. Sie pissten auf unsere Forderungen, schissen auf das Leid der Bauern, auf das Leid der Trauernden.« Der Mann hält inne, schluckt, schüttelt den Kopf. Seine Mundwinkel zucken verräterisch. Der andere hat den Kopf auf den Tisch gelegt, seine Schultern beben vor unterdrücktem Schmerz. Lautlos weint er. Es dauert eine ganze Weile, bis der Mann weitersprechen kann. »Einige andere Verurteilte wurden des Landes verwiesen, nachdem man ihnen den Schwurfinger abgehackt hat. Unser Freund oben in der Kammer gehört dazu. Die Wunde hat sich entzündet, Wundbrand, Fieber und Bewusstlosigkeit kamen hinzu.«
Der andere hebt nun den Kopf. Seine fest aufeinander gepressten Kiefern mahlen. Plötzlich schlägt er die Faust auf den Tisch und spuckt Verwünschungen aus: »Wir werden sie kriegen, die verfluchten Hunde. Als Nächstes hängt der Bischof samt seinen Schergen am höchsten Baum.« Riemenschneider schweigt betroffen. Nach einer ganzen Weile erst beginnt er leise zu sprechen. »Es herrscht im ganzen Land Unbehagen über die Lebensweise der Geistlichen. Immer mehr Bauern erheben sich. Und sie erheben sich zu Recht.«
Er sieht zu Matthias, der blass, aber mit unbewegter Miene zugehört hat. Dann sagt er entschlossen: »Der Verletzte kann heute Nacht hier bleiben. Und auch Ihr findet heute Aufnahme in meinem Haus. Doch noch vor dem Morgengrauen müsst Ihr weiter. Hier ist es zu gefährlich. Ich habe Familie, habe eine Werkstatt, Gesellen, für die ich verantwortlich bin. Ich bitt Euch, kein Wort davon, dass Ihr in meinem Hause wart.«
Riemenschneider steht auf und holt einen kleinen Lederbeutel. Er legt ihn vor die Männer auf den Tisch. »Nehmt das Geld. Zieht in Richtung Norden, geht
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