Der Maler Gottes
die leise Furcht – ein Brief von der Obrigkeit verheißt nicht immer Gutes –, dann die Entspannung, Freude und Stolz.
»Was ist?«, fragt Guersi. »Was schreiben dir die Mainzer?«
Matthias lässt das Blatt sinken, und sein Gesicht zeigt jetzt Ratlosigkeit. »Johann von Liebenstein ist gestorben. Neuer Erzbischof von Mainz ist nun Uriel von Gemmingen. Er fordert mich auf, nach Aschaffenburg zu kommen und Hofmaler in seinen Diensten zu werden.«
»Wirst du dem Ruf folgen?«, fragt Guersi. Matthias zuckt mit den Achseln: »Meine Arbeit am Schrein ist fast vollendet. Ein paar Feinheiten noch an den Aposteln, mehr nicht. Hagenau und die Gesellen werden das Gesprenge und den Aufsatz ohne meine Hilfe schaffen.«
»Also gehst du?«
»Ich weiß es nicht. Hier werde ich nicht mehr gebraucht. Ihr selbst habt gesagt, dass ich die Tafeln jetzt noch nicht malen kann. Aber zum Höfling tauge ich nicht. Ich habe keine Freude an Putz und schönen Gewändern, kein Vergnügen an Gesellschaften und höfischem Spiel. Ratet Ihr mir, Vater Guido, was ich tun soll.«
»Die Stelle als Hofmaler bedeutet Geld, Ruhm und Ansehen…«, erwidert Guersi, doch ein energisches Klopfen an der Tür unterbricht ihn. Der Mönch von der Pforte erscheint und berichtet ehrfürchtig von der Ankunft eines Stiftsherrn mit seinem Gefolge, der den Grünberger Maler zu sprechen wünscht. Er hat kaum zu Ende gesprochen, da wird er auch schon zur Seite gedrängt, und Heinrich Reizmann stürmt in den Raum. »Matthias«, ruft er anstatt einer Begrüßung, »habt Ihr Euch schon entschieden?«
Dann erst bemerkt er den Präzeptor, der lächelnd die Begegnung verfolgt.
Ehrfürchtig verbeugt sich Reizmann, küsst dem alten Mann die Hand und entschuldigt sein Auftreten. Noch immer lächelnd winkt Guersi ab, lässt Wein und ein wenig Essen zur Stärkung bringen. Matthias steht mit hängenden Armen im Raum, seine Hand hält noch immer die Nachricht aus Mainz. Er sieht die zwei Männer im Begrüßungsgespräch, und auf einmal ist ihm, als wären diese beiden die Repräsentanten der beiden Seelen, die in seiner Brust wohnen. Reizmann als Verkörperung von Geld, Ruhm, Ansehen und höfischem Leben, Verkörperung der eigenen Werkstatt mit den Auftraggebern, mit Weib, Gesinde und Kindern. Verkörperung auch der Welt, zu der Matthias selten nur dazugehören wollte. Dazugehören, um nicht länger einsam und allein zu sein.
Daneben Guersi als Vertreter der ideellen Werte, als Inbegriff der von Gott geschaffenen Seele und der Gerechtigkeit vor Gott, ja, sogar der lang gesuchten und heiß ersehnten Nähe zu ihm, Sinnbild seiner Bestimmung, die nichts mit den irdischen und materiellen Werten gemein hat, aber die Hoffnung auf das Seelenheil birgt. Matthias sieht Reizmann und Guersi, die Vertreter seiner beiden Seiten, Verkörperungen der irdischen und himmlischen Gerechtigkeit, Arm in Arm zu Tisch gehen. Gibt es ein Heil außerhalb der Kirche? Wird mich die Stelle des Hofmalers für die Kirche instrumentalisieren? Wo liegt mein Heil? Werde ich es eines Tages mit Gottes Hilfe in mir finden, oder bestimmt die Kirche das Heil? Wer bestimmt meinen Wert? Wer den Wert meiner Bilder? Ich? Die Kirche? Werde ich nie da Gewesenes schaffen, weil die Kirche verfügt, dass es etwas nie da Gewesenes sei, gleichgültig, ob ich es ebenso empfinde? Bin ich als Diener des Erzbischofs von Mainz nur Werkzeug der Kirche, oder kann ich gleichzeitig ein Werkzeug Gottes, so wie hier in Isenheim, sein?
Und in Isenheim? Nützt es denn, nie da Gewesenes zu schaffen, wenn die Nachricht davon nicht über die Grenzen dieser Klostermauern dringt?
Wer beurteilt mich? Wer bewertet meine Bilder? Sind wir das, was wir in den Augen der anderen, der Obrigkeit, ganz gleich ob weltlich oder kirchlich, sind? Ist das die Richtschnur? Oder sind wir das, was wir vor Gott sind? Und woher wissen wir, was wir vor Gott sind? »Matthias, was stehst du da und schaust? Willst du dich nicht zu uns setzen?«
Die Frage Guersis schreckt Matthias aus seinen Gedanken.
Am Tisch wiederholt Reizmann seine Frage: »Habt Ihr Euch entschieden, nach Aschaffenburg an den Hof Uriel von Gemmingens zu kommen?«
»Ich muss darüber nachdenken«, erwidert Matthias und weiß, dass ihm noch nie eine Entscheidung so schwer gefallen ist. Er hat in Isenheim bei Guido Guersi nicht nur ein Zuhause gefunden, sondern fühlt sich zum ersten Mal in seinem Leben auch bei sich selbst zu Hause. »Matthias«, drängt Reizmann und beugt sich dabei mit
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