Der Maler Gottes
fliegt über das Blatt, zeichnet Gestiken, Mimiken, Gebärden, tanzt mit dem Stift synchron zu Magdalenas Bewegungen über das Blatt. Ein wilder Tanz, ein Tanz aller Sinne, ein Tanz voller Zauber, Geheimnisse und Rätsel, deren Antwort nur die beiden kennen. Das Licht flackert, malt die schönsten Muster auf Magdalenas nackten Leib, bestrahlt ihre Schönheit in überirdischem Glanz, begleitet ihren Feentanz, mit dem sie sich dem Geliebten zeigt und hingibt, ihm, ohne ihn zu berühren, so nahe kommt, dass sie erneut miteinander verschmelzen. Der Stift in Matthias’ Hand wird zum Medium, sie vergessen Ort und Zeit, tauchen ein in ein Fest der Sinne, berauschen sich an sich selbst wie am köstlichsten Wein, mögen nicht aufhören mit diesem Tanz, halten schließlich doch erschöpft inne, sinken gegeneinander, ineinander, finden sich erneut, tauchen ein in die Lust, trinken sich aneinander satt und gleiten hinein in die Nacht, die alles zudeckt. Ganz weich wird Magdalena in Matthias’ Arm, ganz aufgelöst. Erst als die Schläge der nahen Turmuhr wie von ferne in ihre selige Mattigkeit dringen, kehrt Matthias zurück in die Wirklichkeit von Magdalenas Schlafkammer. Behutsam streicht er ihr übers Gesicht, glättet ihr Haar, liebkost die Narbe.
»Ich muss gehen«, sagt er leise. Das Bedauern in seiner Stimme ist so groß, dass Magdalena einfach nickt. Er steht auf, zieht sich widerstrebend an. »Ich muss zu Jakob Heller«, erklärt er. »Morgen früh gleich komme ich wieder. Warte hier auf mich.« Magdalena nickt, greift nach ihm, zieht ihn zu sich herunter und küsst noch einmal die roten wunden Lippen, streicht noch einmal über sein Gesicht, küsst auch seine Augen, seine Stirn.
Der Abend im Hause des Handelsherrn Jakob Heller rauscht an Matthias vorbei wie ein Irrlicht. Die Gespräche dringen an sein Ohr, doch sie erreichen nicht sein Inneres. Seine Blicke gleiten über die schöne Tochter des Abraham Cronberg, doch die Bilder bleiben nicht haften. Alles, was Matthias hört, sieht, fühlt, ist Magdalena. Er denkt der Begegnung mit ihr hinterher, fühlt ihr nach, ist ganz ausgefüllt davon, so dass nichts anderes in ihm Platz hat.
»Nun, wie gefällt Euch Eure Braut?«, fragt Heller, als er Matthias schließlich zur Tür geleitet. »Gut, sehr gut. Sie ist glanzvoll und ganz vortrefflich«, erwidert Matthias und meint doch Magdalena. »Fein.« Jakob Heller reibt sich die Hände. »Auch Ihr habt Hannah Cronberg gefallen. Ich komme morgen bei Euch vorbei, damit wir die notwendigen Formalitäten klären und die Taufe und das Hochzeitsaufgebot bestellen können. Walter von Cronberg wird der Taufpate sein. Das ist Euch doch recht so?«
»Ja, mir ist alles recht. Macht nur, wie Ihr es für das Beste haltet«, antwortet Matthias und denkt an den wundersamen Tanz der Magdalena und an sein Skizzenbuch, das diesen Tanz für immer festgehalten hat. Schläft er in dieser Nacht? Er weiß es nicht. Immer wieder schiebt sich Magdalenas Bild vor seine Augen, dringt bis in seine Träume. Die Zeit scheint stillzustehen, der Morgen nicht zu kommen.
Als das erste Tageslicht durch das Fenster in seine Kammer dringt, springt Matthias auf und eilt wenig später mit fliegenden Beinen und klopfendem Herzen zu Magdalenas Haus.
Einmal klopft er, ein zweites und ein drittes Mal. Schließlich hämmert er mit beiden Fäusten gegen die Tür, die unter dem Druck nachgibt, sich öffnet und den Blick ins Haus gestattet.
Matthias tritt ein. Das aufgeregte Klopfen seines Herzens wird zur Angst, als die Stille im Haus so dicht wird, dass er meint, sie mit Händen greifen zu können. Eine bange Vorahnung beschleicht ihn, schnürt ihm die Kehle zu. Wie vom Teufel gehetzt stürmt er die Treppe hinauf in die Schlafkammer.
»Magdalena! Magdalena, wo bist du?«, ruft er, schreit er. Doch niemand hört ihn, niemand antwortet. Die Schlafkammer ist leer, die gestickte Bettdecke verschwunden, die Schranktüren offen, der Truhendeckel hochgeklappt, die Zeichnung über dem Bett nicht mehr da. Er rennt hinunter in die Küche, findet auch hier nur Verlassenheit und Stille vor, rennt in alle Stuben und Kammern, ruft noch immer sinnlos nach Magdalena und weiß doch längst, dass sie fort ist, Frankfurt verlassen hat, ihn verlassen hat. Matthias fragt nicht, warum Magdalena gegangen ist. Er weiß, dass nur sie die Antwort kennt, dass sie gute, schwerwiegende Gründe gehabt haben muss. Wochen braucht er, ehe er am Heller-Altar weitermalen kann, und es ist kein
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